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Treffpunkt - Buluşma Noktası

Türkische und deutsche Kultur im Dialog

Meine zwei Häuser

Letzte Woche musste ich einige Texte ins Deutsche übersetzen. Das Hin- und Hergehen zwischen meinen zwei Häusern, das Anschauen des einen und das Bauen an dem anderen. Es war sehr schön und bereichernd für mich während dieses Baus zu sehen, was in der anderen Sprache machbar ist. Meine zwei Häuser, meine zwei Sprachen; das Herumspazieren vom Türkischen ins Deutsche, vom Deutschen ins Türkische.

Ja. Ich wohne in zwei Häusern. Man vermisst Sprachen genauso wie sein Haus. Ich vermisse das eine wie das andere. Ich lebe in Istanbul, aber ich muss während des Tages oder in der Nacht unbedingt Deutsch lesen, es schreiben, es sprechen.

Da Deutschland mein zweites Zuhause ist, vermisse ich auch den deutschsprachigen Raum. Deswegen habe ich meine Residenz in Istanbul so eingerichtet und dekoriert. Oder vielleicht hat sich diese Dekoration auch im Laufe der Zeit von sich aus ergeben.

Neben meinem Sofa, auf dem ich liege und meine Bücher lese, meine Decke anstarre oder nachdenke, steht ein Beistelltisch. Auf diesem Tisch stehen Postkarten mit Bildern von Goethe: Er schaut auf die Silhouette von Charlotte, blickt aus dem Fenster, schreibt gebeugt an seinem Tisch. Und daneben sieht man seine Bibliothek.

Und zwischen diesen Postkarten liegen Abbildungen von Thomas Mann, immer wieder mit Bezug zu Goethe. Einmal mit seinem Werk „Lotte in Weimar“, ein anderes Mal als er Deutschland einen Besuch abstattete und 1949 in Frankfurt den Goethepreis entgegennahm. So haben sich beide Schriftsteller immer wieder „getroffen“.

Auf dem Regal meines Schreibtisches ist ein Foto von mir, das Dora in Kreuzberg aufgenommen hat. Direkt daneben steht ein Bilderrahmen aus Deutschland. Monolithisch aus Glas. Egal welche Schublade meines Tisches ich öffne – es liegen darin Hefte und Fotos in Erinnerung an Goethe und Mozart. Auf einigen Fotos bin ich als Kind zu sehen. Zum ersten Mal in Österreich und Deutschland. Wir fahren von Bregenz nach Friedrichshafen.

Auf meinem Tisch liegt ein Buch, das ich dort nie wegnehme: Lexikon der deutschsprachigen Autoren. Die meisten Bücher sind von Heinrich und Thomas Mann. An die Bücher habe ich Karten gelehnt. Auf der einen ist die deutsche Flagge mit der Aufschrift „Wir sind ein Volk“ zu sehen. Auf der anderen Karte küssen sich Honecker und Breschnew. Ich habe mir auch eine DDR-Flagge gekauft.

In zwei Regalen sind Bücher von Thomas Bernhard. Ganz vorne „Amras“. In allen Regalen gibt es deutsche Bücher: Günter Grass, Siegfried Lenz, Bertolt Brecht etc. Dann Walter Benjamin und Jürgen Habermas. In einem Regal steht eine stilvolle Ausgabe von „Die Harzreise“ von Heinrich Heine aus dem Jahre 1920. Auf ein anderes Regalbrett habe ich eine Büste von Immanuel Kant gestellt. Auf wieder ein anderes eine Schachtel aus dem Jahr 1930, die ein Dichter-Quartett enthält. Gleich daneben ein etwas neueres, politisch-historisches Quartett.

Irgendwo habe ich auch noch die Konzertkarten meines Lieblings-Rock-Musikers, Bruce Springsteen. Über die ganzen Jahre habe ich seine Konzerte meistens in Deutschland besucht: in Berlin, Frankfurt, Mannheim, München. Wann habe ich eigentlich diese Deutschlandflagge gekauft? Und diese Österreichflagge? Normalerweise habe ich mit Flaggen nichts am Hut.

Ich öffne meine Küchenschränke. Eine Kaffeetasse, die ich am Checkpoint Charlie gekauft hatte … Eine weitere, die mir die Mitglieder der Heinrich-Böll-Stiftung nach einer meiner Konferenzen dort geschenkt hatten.

An der Wand hängt meine Diplomurkunde des österreichischen Gymnasiums mit österreichisch-türkischen Flaggen.

Und ich bin verrückt nach Stiften. Überall sind Stifte. Manche von ihnen sind Erinnerungen aus Souvenir-Läden in Berlin, auf anderen sind Noten von Mozart abgebildet. Wieder andere sind von der WM 2006, auf weiteren sind Motive aus Goethes Heften. In meinem Schlafzimmer hängt ein Bild von Richard Wagner. Außerdem steht dort eine Matrjoschka-Puppe der deutschen Bundespräsidenten.

Die Uhr auf dem Buffet stellt sich automatisch nach den Signalen von Radio Frankfurt. Sie geht aber immer eine Stunde vor.

Meine Möbel entsprechen dem mitteleuropäischen Stil der 1960er und 1970er Jahre. Ich habe sie in Antiquitätenläden gekauft. Retro.

Also so lebe ich. Wie eine Reise durch Zeit und Ästhetik. Ich spaziere zwischen meinen zwei Häusern und Sprachen. Zwischen Türkisch und Deutsch …

Datum

Donnerstag, 04.10.2012 | 17:01

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