Ein Reservat für die Restdeutschen
Ein Ausblick auf die deutsche Kultur im Jahre 2135
Der pandeutsche Bundeskanzler Hans Al Farrag hat zusammen mit der Ministerin für Heimatangelegenheiten, Aysun Eteo, endlich beschlossen, den wenigen noch verbliebenen Menschen rein deutscher Abstammung ein Reservat zuzuweisen. Das Areal erstreckt sich auf wenige 100 Quadratkilometer und befindet sich im Oberland des ehemaligen Bundeslandes Bayern. „Auch wenn sie vom Aussterben bedroht sind, sollten sie in Würde ihren alten Riten und Gebräuchen nachgehen können“, so der Bundeskanzler nach Bekanntgabe des Beschlusses durch das Kabinett. „Sie sollen grundsätzlich in Ruhe leben können, an ausgewählten Tagen darf die pandeutsche Bevölkerung die Restdeutschen bei ihren Gewohnheiten und Sitten betrachten. So soll ausgeschlossen werden, dass die Restdeutschen quasi eine Parallelgesellschaft errichten. Es sei sehr bedauerlich, dass zu diesen Maßnahmen gegriffen werden musste, so die Ministerin, denn diese Menschen hätten in den letzten hundert Jahren viel zur Entwicklung dieses Landes beigetragen, aber darüber hinaus leider vergessen sich weiter fortzupflanzen. Insgesamt werde ihre Anzahl auf knapp 250.000 Menschen geschätzt. Da viele von ihnen 100 Jahre und älter seien, sei die entsprechende medizinische Betreuung zugesichert. Bei der Begrenzung des Lebensalters auf 105 Jahre könnten aber leider auch hier keine Ausnahmen gemacht werden. Letztendlich sei die Dauer des Reservates überschaubar, so dass beim Bau der Unterkünfte auf langlebige Materialien verzichtet werden konnte und die Steuerkasse nur entsprechend gering belastet werden musste.
Heute begehen die Menschen im Reservat Restdeutschland einen ganz besonderen Tag. Sie feiern den Tag des Huhns. Dieser Tag wurde vor achtzig Jahren das letzte Mal feierlich zelebriert. Früher kamen an diesem Tag Millionen von Deutschen zusammen um bei Bier tausende Hühner zu verspeisen, in Tracht und mit Gesang dauerte dieses Fest knapp zehn Tage. Nach dem absoluten Alkoholverbot wurde zwar noch versucht, auch ohne Alkohol dieses Fest zu begehen, aber es mochte keine richtige Stimmung mehr aufkommen, so dass diese zehn Tagen nicht mehr begangen wurden. Jetzt wurde diese alte Tradition im Reservat wieder mit neuem Leben erfüllt. Am ersten Wochenende im Oktober wird ein kleines Zelt errichtet, um gemeinsam Hühner zu verspeisen. Woher diese Sitte stammt, wird von den Ethnologen, die sich intensiv mit den Gebräuchen der Vorfahren der Restdeutschen befassen, nicht einheitlich beantwortet. Die noch lebenden Restdeutschen können sich ob ihres hohen Alters nicht mehr daran erinnern. Auch heute darf kein Alkohol ausgeschenkt werden. Tausende von Besuchern des Reservats waren sichtlich beeindruckt von den Trachten und Kostümen der Restdeutschen.
Deutschland hält den Atem an. Der letzte Restdeutsche Hans Müller hat am heutigen Tag die staatlich begrenzte Lebenszeit von 105 Jahren erreicht. Er sei friedlich gestorben, so die Vollstrecker für den Übergang vom Leben in den Tod. Hans Müller sei ein besonderer Mensch gewesen. Geboren 2028, hatte er sich strikt geweigert eine Frau aus einem anderen Kulturkreis zu nehmen. Alle Bemühungen von staatlicher Seite ihn zur Verbindung mit einer Afro-Deutschen, einer türkischen Schwedin oder libanesischen Spanierin zu veranlassen, scheiterten. Auch zeigte er keine Absichten, Kinder zu zeugen. Er wollte lieber den alten Gewohnheiten seiner Landsleute, ausschließlich zu konsumieren, nachgehen. Aber sein Fleiß und seine meisterliche Abarbeitung seines Lebensplans haben ihm den Respekt auch der Pandeutschen eingebracht. Die Bundeskanzlerin Zulu Mmbo nannte Hans Müller eine tragische Gestalt, ausgestattet mit dem Besten: Bildung, Wohlstand, Fleiß und Pedanterie. Leider hatte er vergessen, dass ausschließlich Kinder die Zukunft der eigenen Art sichern. Er werde aber in guter Erinnerung bleiben, hätten schließlich vor 150 Jahren Millionen seiner Art die Grundlage dafür gelegt, dass in diesem Land Menschen aus vielen Ländern auskömmlich leben können.