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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Neun Gipfelstürmer

Das war 'mein' Gipfel

Natürlich gibt es immer Ausreden. Da war zunächst das kleine Zelt für Lager 3, das es Sergio und mir schwer machte, rechtzeitig zum Aufbruch um zwei Uhr nachts fertig zu sein. Dann stahl mir die dünne Luft die Kraft, um die Innenschuhe in die Expeditionsschuhe zu drücken. Und schließlich machte ich noch einen Kardinalfehler.

Minus 27 Grad

Als ich die Steigeisen an die Expeditionsschuhe anlegen wollte, wählte ich die Merino-Handschuhe, die sich prompt voll Schnee beziehungsweise Wasser sogen. Als wir mit Stirnlampen bewaffnet loszogen, realisierte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Das Thermometer zeigte minus 27 Grad Celsius. Am Tag zuvor war die Haut am Daumen aufgeplatzt. Ich hatte ein Pflaster darauf geklebt. Jetzt merkte ich, dass es gefror und anschwoll. Einen Daumen zu verlieren, war mir der Putha Hiunchuli dann doch nicht wert. Ich sagte Pemba, der auf mich wartete, dass ich zurückkehren werde. Schweren Herzens ließ ich die Gruppe ziehen. Joachim hatte nach den windigen, eiskalten Stunden im Zelt ebenfalls auf einen Start verzichtet.

Noch gut in der Zeit

Schnell besorgte ich mir ein Wärmekissen und wickelte den malträtierten Daumen hinein. Der Zustand des Fingers besserte sich. Hatte ich vorschnell reagiert? Als mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, sah ich zwei Lichter aufsteigen: Brigitte und Hans, die um Mitternacht von Lager 2 aufgebrochen waren. Hans hatte Bauchweh und wollte sich eine Weile in einem Zelt erholen. Brigitte schlug vor, mich mitzunehmen: „Du liegst doch noch gut in der Zeit. Wichtig ist nur, dass du die kalte Zeit bis zum Sonnenaufgang gut überstehst.“ Warum eigentlich nicht? Umkehren konnte ich ja jederzeit.

Uneinholbar 

Schlechtwetter naht

Schnell war klar, dass ich mit Brigittes Tempo nicht würde mithalten können. Und auch Hans, der sich rasch erholt hatte, zog schließlich an mir vorbei. Ich sah die Stirnlampen der anderen uneinholbar vor mir. Das beunruhigte mich kaum. Schließlich galt die Umkehrzeit zehn Uhr und die schien realistisch.

Ängstlich befühlte ich immer wieder meine Fingerkuppen. Bei der Last-Degree-Expedition zum Nordpol hatte ich sie mir angefroren.

Um 5:30 Uhr ging endlich die Sonne auf. Der Gipfel erschien noch sehr weit, aber nicht unerreichbar. Ich machte kleine Schritte, atmete gleichmäßig und versuchte, das tolle Himalaya-Panorama nicht zu ignorieren. Was für ein Erlebnis! Doch der Grund für den vorgezogenen Umkehrtermin war die erwartete Schneefront. Aufmerksam beobachtete ich den Morgenhimmel. Wolken zogen auf, der Wind frischte auf. 

Doch nicht der Gipfel

Ich wusste, dass der letzte Weg bis zum Gipfel elendig lang war. Doch dieser Hang musste doch der letzte sein. Aus der Ferne beobachtete ich, wie die Bergsteiger fast senkrecht heraufklommen und, wenn sie oben angelangt waren, kurz stehen blieben, als ließen sie sich fotografieren. Nun stand ich am Fuße des Aufschwungs, um circa 9.40 Uhr. Als ich etwa auf der Hälfte angekommen war, entwickelte sich der Wind zum Sturm und mir war gar nicht wohl zumute. Doch gleich würde ich ja den Gipfel erreichen. Denkste! Als ich auf der Kuppe eintraf, ging es weiter bergan. In diesem Augenblick kamen Brigitte, Hans und Pemba herangeschossen, mit Skibrillen und Sturmbekleidung. „Das solltest du dir sparen. Das ist noch elendig weit“, rief Brigitte. „And the storm is really dangerous“, ergänzte Pemba.

Sergio: Der härteste Berg, den ich jemals bestiegen habe

Wieder werde ich also ohne Gipfel heimkehren. Immerhin habe ich es also bis auf 7100 Meter geschafft. Ich gratuliere allen ganz herzlich, die den Gipfel erreicht haben: Brigitte und Hans, Helmut, Norbert, Roland, Sergio, Herbert und den beiden Pembas. Dass der Putha Hiunchuli ein leichter 7000er sei, bestreiten alle Expeditionsteilnehmer. Vielleicht technisch leicht. Aber wenn man so viel Schnee treten muss wie wir in diesem Jahr …

Datum

20. Oktober 2011 | 21:00

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