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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Lincolns zweiter Tod

Lincoln Hall (1955-2012)

Australien trauert um Lincoln Hall, einen der besten Bergsteiger in Down Under. Er starb im Alter von 56 Jahren an einem Mesotheliom, einer seltenen Krebsart, die vor allem bei Menschen auftritt, die mit Asbest gearbeitet haben. Als Kind hatte Lincoln seinem Vater dabei geholfen, zwei Spielhäuser aus Asbest-Platten zu bauen. Ende Mai 2006 war Hall schon einmal für tot erklärt worden – am Mount Everest. Die Geschichte des Australiers ging um die Welt.

 

Kein Puls mehr

Nachdem Lincoln den 8850 Meter hohen Gipfel über die tibetische Normalroute erreicht hatte, war er auf 8700 Metern zusammengebrochen und hatte das Bewusstsein verloren – Symptome eines Höhenhirnödems. Mehr als zwei Stunden lang gab er kein Lebenszeichen mehr von sich. Als die Sherpas, die versucht hatten, ihm zu helfen, keinen Puls mehr fühlten, entschieden sie, ihn zurückzulassen und abzusteigen. Der Expeditionsleiter erklärte den Australier für tot und informierte seine Angehörigen.

Erfolgreiche Rettungsaktion

Tibetische Everest-Seite mit Nordwand

Am nächsten Morgen erreichte der US-Amerikaner Dan Mazur mit seiner Gruppe die Stelle, an der die Sherpas Hall zurückgelassen hatten. Zur großen Überraschung Mazurs lebte der Australier noch, war jedoch kaum zurechnungsfähig: Gerade noch konnten die Bergsteiger verhindern, dass Lincoln seine Kleidung auszog. Mazur organisierte eine Rettungsaktion, an der zeitweise 13 Sherpas beteiligt waren. Nachdem sie Hall mit Flaschensauerstoff, Medikamenten und Tee versorgt hatten, gelang es ihnen, den totgeglaubten Australier hinunter ins Basislager zu bringen. Lincoln hatte sich schwere Erfrierungen zugezogen. Er verlor eine Zehe und einige Fingerglieder. Aber er lebte. Eine von vielen für unmöglich gehaltene Rettung aus weit über 8000 Metern war geglückt. In den folgenden Jahren verarbeitete Hall seine unglaubliche Everest-Geschichte in Büchern und Vorträgen.

1984 in der Everest-Nordwand

Die Expedition 2006 war nicht seine erste zum Mount Everest. 1984 hatte Lincoln zum großartigen australischen Team gehört, das eine neue Route durch die große Nordwand-Rinne und das Norton-Couloir eröffnet und dabei auf Atemmasken verzichtet hatte. Tim Macartney-Snape und Greg Mortimer erreichten den Gipfel, Hall schaffte es auf eine Höhe von 8300 Metern. 1999 bestieg er den Achttausender Makalu. 2002 gehörte Lincoln zu den Gründern der Australischen Himalaya-Stiftung, die Schulen baut, Lehrer ausbildet und tibetischen Flüchtlingen hilft.

Warum er immer wieder in den Bergen hohe Risiken eingegangen sei, wurde Hall einmal gefragt. Die Gefahr ziehe ihn an, antwortete Lincoln, aber auch die mentale und physische Herausforderung. „Das Erlebnis ist so unglaublich intensiv.“

Datum

23. März 2012 | 22:41

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