Blindflug
Dicke Luft in dünner. „Inzwischen ist die Stimmung bei den kommerziellen Anbietern und deren Sherpas im Basislager aufgrund der gefährlichen Gesamtsituation am Berg gereizt“, schreibt Richard Stihler vom Fuße des Mount Everest. „Heute hat ein großer Anbieter bereits aufgegeben, er wird seine Lager in diesen Tagen ohne Gipfelversuch abschlagen.“ Mein alter Kumpel vom Manaslu will in diesem Mai den höchsten Berg der Erde besteigen, seinen vierten Achttausender. Richie berichtet, die Route durch die Lhotse-Flanke habe in mehrtägiger Arbeit verlegt werden müssen, nachdem mehrere Bergsteiger in der ursprünglichen Spur durch Steinschlag verletzt worden seien.
Ins sichere Basislager gemogelt
Dass auch heute noch nicht jede Wetterprognose für den Everest wirklich zutrifft, erlebt Richie beim Versuch, mit seinem Sherpa Pasang bis zu Lager 3 auf 7300 Metern aufzusteigen: „Statt klarem Wetter schneit es stark, und der Wind wird zunehmend stärker.“ Auf einer Höhe von 6600 Metern beschließen die beiden umzukehren. Im dichten Nebel gerät der Abstieg durch den Khumbu-Eisbruch zum Blindflug. „Mit zwei Sherpas, die sich mir inzwischen angeschlossen haben, lege ich sämtliche auffindbaren Seile frei, wir sichern uns daran und mogeln uns Richtung rettendes Basislager“, erzählt Richie.
Raus aus der Mausefalle
Auch Gerlinde Kaltenbrunner und David Göttler geraten in den überraschenden Wetterumschwung. Eigentlich hatten sie in die Nuptse-Nordwand einsteigen wollen, nachdem sie auf 6900 Metern im Schutz eines Felsens ein paar Stunden geschlafen hatten. „Um 3.00 Uhr früh standen wir angezogen in voller Montur vorm Zelt. Es schneite ganz leise, ruhig und beständig dahin. Das durfte doch nicht wahr sein“, schreibt Gerlinde auf ihrer Homepage. „Würden wir hier länger zuwarten, würden wir in einer Mausefalle sitzen.“ Auch ihnen schlossen sich Sherpas an, die sich im Nebel verlaufen hatten. Mit GPS-Hilfe fanden sie den Weg zurück ins sichere Basislager. Dort erwartete sie Ralf (Dujmovits), dem es nach einer Nasennebenhöhlen-Entzündung wieder besser geht. Ralf will Gerlinde und David jedoch auch bei ihrem nächsten Anlauf zum Nuptse nicht begleiten, sondern versuchen, zum Everest-Südsattel auf 8000 Metern aufzusteigen. Der Mount Everest ist der einzige der 14 Achttausender, den der 50-Jährige mit Flaschensauerstoff bestieg. 1992 war das. Wenn alles passt, will Ralf es diesmal ohne Atemmaske schaffen.