Vollgas mit Handbremse
Alle werden älter. Auch Extrembergsteiger. „Ich spüre, dass ich mich verändere“, schreibt Ueli Steck. „Die wildeste Phase in meinem Leben – so glaube ich zumindest – habe ich hinter mir.“ Der Topkletterer aus der Schweiz gehört zu den 337 Bergsteigern aus aller Welt, denen die nepalesische Regierung die Genehmigung erteilt hat, in diesem Frühjahr den Mount Everest von der Südseite aus zu besteigen. Ursprünglich wollte der 35-Jährige (den ich euch hier im Blog im Februar vorgestellt hatte) den 8850 Meter hohen Gipfel ohne Flaschensauerstoff über den selten begangenen Westgrat erreichen. Doch Ueli änderte seine Pläne, als er erfuhr, dass dort zwei weitere Teams aufsteigen wollten: „Das heißt aber auch, dass am Westgrat Fixseile sein werden. Also macht es keinen Unterschied, ob man auf der Normalroute oder auf dem Westgrat unterwegs ist.“ Bis auf die Tatsache, dass er dort wahrscheinlich nicht Gefahr gelaufen wäre, in einen Bergsteiger-Stau zu geraten.
Nur ein Zelt, aber bald ein kleines Dorf
Der droht – wie jedes Jahr – auf der Normalroute, wenn sich eines der seltenen Schönwetter-Fenster öffnet (seit heute könnt euch einen Eindruck vom Wetter verschaffen, wenn ihr auf der rechten Blogleiste den Link zu der Webcam anklickt, die vom Gipfel des 5675 Meter hohen Kala Pattar auf die Südwestwand des Everest gerichtet ist). Ueli hat zusammen mit dem 21 Jahre alten Tenzing Sherpa eine Nacht auf knapp 8000 Metern verbracht. „Wir hatten den ganzen Südsattel für uns. Nur unser kleines Zelt und etliche Materialdepots“, berichtet Ueli. „In ein paar Tagen wird da oben ein kleines Dorf entstehen.“
Deutlich niedriger kann immer noch hoch sein
Seinen Versuch, gemeinsam mit dem US-Kletterer Freddie Wilkinson eine neue Route durch die Nordwand des Sechstausenders Cholatse zu eröffnen, hatte Steck zuvor aufgeben müssen. Zu viel Schnee auf dem Fels, zu gefährlich. Auch die Verhältnisse am Everest-Westgrat („sehr eisig“) sind ihm zu riskant. „Ich bin zurückhaltender geworden als früher“, räumt Ueli ein. „Wenn es passt, dann Vollgas. Aber wenn die Bedingungen nicht stimmen, kann ich viel besser akzeptieren, dass es so ist und dass es besser ist, etwas anderes zu machen. Das Feuer brennt immer noch, aber das Risiko muss deutlich tiefer sein.“ Ich füge hinzu: was für mindestens 99,9 Prozent aller Bergsteiger aber immer noch deutlich zu hoch wäre.