Leichter als auf der Highline
Über 27 Millionen Fernsehzuschauer sahen hierzulande am Sonntag zu, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr EM-Spiel gegen Dänemark mit 2:1 gewann. Immerhin 10 Millionen waren am selben Tag in den USA live dabei, als der Sender ABC einen Drahtseilakt in die Fernsehstuben übertrug. „Das bestbesuchte nicht-sportliche Sommerprogramm seit 2006“, jubelte der Sender. Der 33 Jahre alte Nik Wallenda, Urenkel eines deutschen Zirkusakrobaten, balancierte in 60 Meter Höhe auf einem Stahlseil über die breiteste Stelle der Niagara-Fälle. 25 Minuten brauchte er für die Distanz von 550 Metern. „Ich finde die Idee gut. Lässig, dass er es gemacht hat, ein tolles Spektakel“, sagt Heinz Zak. „Aber ehrlich gesagt, eine Riesenleistung ist es – sportlich gesehen – nicht.“
Slackline-Pionier
Ich habe den Extremkletterer, Fotograf und Filmemacher aus Österreich angerufen, weil er ein ausgewiesener Experte für Balancieren in luftiger Höhe ist. Zak gilt als Slackline-Pionier in Europa. 2006 veranstaltete er in seinem Heimatort Scharnitz in Tirol das erste internationale Treffen der Seilkünstler. Längst ist der Tanz auf dem schwingenden Seil zum Trendsport geworden, nicht nur in den Bergen. „Bei uns erlebe ich das nach wie vor als richtigen Boom“, sagt Heinz. „Ich glaube, es wird sich vom Trendsport weiter entwickeln zu einem ganz normalen Schulsport.“ Der 54-Jährige selbst sorgte schon oft auf so genannten „Highlines“ für Furore, auf Seilen, die zwischen zwei Felsen in schwindelerregender Höhe gespannt waren.
Konnte kaum schiefgehen
Heinz Zak macht darauf aufmerksam, dass an dem Seil, über das Nik Wallenda über die Niagara-Fälle balancierte, in gewissen Abständen Gewichte hingen. „Damit nimmt er die Schwingung komplett heraus, und er marschiert wie auf einem richtig betonierten Stahlkabel.“ Außerdem nutzte Wallenda eine meterlange Balancierstange, die er mit einem Gurt um die Schulter fixiert hatte. „Der hat ein unglaubliches Trägheitsmoment eingebaut. Die Stange wiegt ja fast 20 Kilo“, erklärt Heinz. Dazu war der Artist noch am Seil gesichert. „Wenn der jetzt nicht gerade einen Herzkasperl auf der Leine kriegt, dann sollte eigentlich nicht großartig etwas schief gehen.“
Slackline schwingt mehr
Wallenda gab noch auf dem letzten Drittel der Strecke sein erstes Live-Interview. „Er kann auf dem Seil auch laufen, eine Hand hochreißen, jubeln, niederknien. Da sieht man schon, dass das Balancieren auf dem Drahtseil wesentlich leichter ist als über eine Highline zu gehen“, sagt Heinz. „Der größte Unterschied ist, dass sich unsere Leine stark bewegt. Je länger sie ist, desto stärker schwingt sie.“ Zak weiß, wovon er redet. Er hat die berühmteste Highline der Welt bewältigt, am Lost Arrow, einer Granitnadel im Yosemite-Nationalpark. Und ist auch schon free solo, also ohne Sicherung, übers Seil balanciert. „Das ist für den Kopf der Hammer“, erzählt Heinz. „Da weiß man, wenn man wirklich ausrutscht und die Leine nicht fängt, ist man tot.“
Eine andere Hausnummer
Das Free-Solo-Klettern im Fels sei dennoch anspruchsvoller, meint Zak, dem 2005 im Yosemite die zweite ungesicherte Solo-Durchsteigung der legendären Route „Seperate Reality“ gelang. Sie führt durch ein sieben Meter überhängendes Felsdach, 200 Meter über dem Talgrund. „Beim Highlinen kann ich mich wesentlich genauer auf die Anforderungen einstellen. Es ist kontrollierbarer, auch wenn die Leine schwingt“, erklärt Heinz. „Eine 20- oder 30-Meter-Highline ist von der Sicherheit her vergleichbar mit dem Klettern im sechsten oder siebten Schwierigkeitsgrad.“ Bewege er sich im Fels free solo auf noch anspruchsvollerem Terrain, würden die Kletterbewegungen so schwierig, dass das Risiko deutlich steige, sagt der Österreicher. Oder die Griffe seien nicht mehr hundertprozentig kontrollierbar. „Wenn es so an die Grenze geht, bedeutet der kleinste Fehler den Tod.“ Anders als am Sonntag über den Niagara-Fällen.
P.S. Ans Herz lege ich euch Heinz Zaks Buch „Slackline am Limit“ mit guten Texten und sensationellen Bildern.