Auf der Jagd nach dem Eis
Matthias Scherer war das Eisklettern fast in die Wiege gelegt – und das, obwohl er in Frankfurt am Main geboren wurde, fernab der Alpen. „Meine Mutter hatte eine große Leidenschaft, Eiszapfen zu fotografieren. Da war ich schon als sehr kleines Kind dabei“, erzählt der 38-Jährige. „Irgendwann entstand dann dieser verrückte Wunsch: Da kann man auch hochklettern.“ Im Winter 1992 begann Matthias, auf gefrorenen Wasserfällen zu klettern. Seitdem hat ihn diese Leidenschaft nicht mehr losgelassen. Heute ist er Eiskletter-Profi, genauso wie seine Frau Tanja Schmitt.
Durch das Klettern zusammengeschweißt
Tanja ist in Südafrika und dann ebenfalls in Frankfurt groß geworden. Erst widmete sie sich dem Ausdauersport Triathlon, ehe sie mit ihrer bergbegeisterten Zwillingsschwester Heike das Bergsteigen für sich entdeckte. Dann lernte Tanja Matthias kennen. „Wir haben gemerkt, dass wir eine sehr ähnliche Philosophie haben“, sagt die 35-Jährige. „Die gemeinsamen Erlebnisse beim Wasserfallklettern haben uns zusammengeschweißt. Es ist dermaßen ausfüllend, dass wir dabei geblieben sind und auch bleiben werden.“ Die beiden leben in Cogne im italienischen Aostatal. Dort bilden sich früh die ersten Eisfälle und damit beginnt für Tanja und Matthias die Saison – im vergangenen Winter mit einer Schrecksekunde.
Flasche fing Wucht des Aufpralls ab
Bei einer der ersten Touren im November 2011 löste sich bei Tanja ein Steigeisen. Sie verlor den Halt und stürzte 30 Meter tief ab. „Das ging alles so unglaublich schnell“, erinnert sich Tanja. „Ich habe das wie im Traum wahrgenommen.“ Wie durch ein Wunder kam sie mit einer starken Gehirnerschütterung und Prellungen davon. Eine Metallflasche, die sie im Rucksack trug, war völlig verbeult. Möglicherweise fing sie einen Teil der Aufprall-Wucht ab und verhinderte damit Schlimmeres. Wenige Wochen nach dem Unfall kletterte Tanja wieder: „Der Respekt bleibt, aber die Angst darf dich nicht hindern weiterzumachen. Sonst kannst du dein Leben nur damit verbringen, zu Hause zu sitzen und Ängste aufzubauen.“ Tanja und Matthias wissen, dass sie beim Eisklettern auf höchstem Niveau auf einem schmalen Grat unterwegs sind. Wegen des Risikos haben sie sich ganz bewusst gegen Kinder entschieden. „Wir haben Freunde verloren“, sagt Matthias. „Es ist eben ein Sport, der totales Engagement erfordert, vor allem, wenn man auf den wunderschönen dünnen Linien aufsteigt.“
Matthias über das Risiko beim Eisklettern
In den Himmel hinauf
Wenn er über die Faszination seines Sports redet, gerät der Eiskletterer schon einmal ins Philosophieren. „Ein Wasserfall ist nie der gleiche, kann sich selbst von einem auf den nächsten Tag ändern. Gerade in dieser Vergänglichkeit liegt der besondere Reiz, weil es letztendlich eine wunderbare Parabel für unsere eigene Existenz ist, diesen Wasserfall in diesem Moment zu erleben und in den Himmel hinaufzuklettern.“ Auch Tanja lebt für diese intensiven Erfahrungen. „Es ist einfach ein ausgefülltes Leben. Ich spüre keine Sekunde mehr diese Leere wie früher in Frankfurt.“
Tanja: Am liebsten klettere ich mit Matthias
Träume haben die beiden noch viele, nicht nur im Eis. Tanja würde gerne eine „schöne Route“ am Mount McKinley, dem höchsten Berg Nordamerikas, klettern, Matthias sich am Cerro Torre in Patagonien versuchen oder dünne Luft im Himalaya schnuppern. Zurzeit aber jagen die beiden wieder einmal dem Eis hinterher. In Kanada sind die ersten Wasserfälle im Winterfrost erstarrt.
P.S. Wenn ihr hier klickt, geht es zum Video über die Eisklettertouren der beiden im vergangenen Winter.