Abrocken unterm Gipfelkreuz
Älter werden bedeutet, dass dir Haare an Stellen wachsen, wo du sie nicht haben willst. Und die richtigen fallen aus, die Mähne wird dünner. Insofern tauge ich kaum noch für einen 1a-Gipfelmosher. Dazu müsste ich eine richtig lange Matte haben und auf Heavy Metal stehen. Bis vor einigen Tagen wusste ich nicht einmal, was „Moshen“ ist. Zu meiner Entschuldigung: Selbst die gängigen Online-Übersetzungshilfen Englisch-Deutsch kennen den Begriff nicht. Ein Zeitungsartikel klärte mich auf, dass es sich um ein Synonym für „Headbanging“ handele, also das wilde Schütteln langer Haarmatten zu Metal-Klängen. Ich erfuhr, dass zwei bayrische Bergsteigerinnen mit der Vorliebe für spanische Heavy-Metal-Bands vor sechs Jahren auf die spaßige Idee kamen, auf Berggipfeln ihre Mähnen kreisen lassen. Die beiden mit den Phantasienamen LoqUita und Chiquita inspirierten andere dazu, es ihnen gleich zu tun. Hunderte von Beweisfotos zieren inzwischen ihre Internetseite gipfelmoshen.de. Richtig neugierig wurde ich, als ich las, dass es auch schon eine „Erstbemoshung“ des Putha Hiunchuli gab – jenes Bergs im Westen Nepals also, auf dessen Gipfelgrat ich selbst im Oktober 2011 auf 7150 Metern, hundert Höhenmeter unter dem Gipfel, umkehren musste. Eine klassische „Fehlbemoshung“.
Rekord-Mosher
Der Putha Hiunchuli ist mit 7246 Metern der höchste der über 700 bisher erstbemoshten Gipfel. Als ich mir auf der Internetseite der beiden bayrischen Mädels das Beweisfoto ansah, staunte ich nicht schlecht. Mein erster Gedanke war: den kenne ich doch – nicht nur den Berg, auch den abgebildeten Bergsteiger, der da den Eispickel mit Nepalfahne zur Luftgitarre zweckentfremdet hatte. Und auch die beigefügten Informationen passten: Marc, 14. Oktober 2010. Kein Zweifel, das war Marc Faber, der mir vor meiner Putha-Hiunchuli-Expedition in einem Kölner Brauhaus wertvolle Tipps mit auf den Weg gegeben hatte. Übers Gipfelmoshen hatte Marc damals jedoch kein Wort verloren. Dabei taucht er mit dem 2008 bestiegenen 6461 Meter hohen Mera Peak in Nepal auch auf Rang drei der Mosh-Topliste auf. Marc beschreibt, wie es sich anfühlt, in dünner Luft „zu moshen, zu bangen und erbarmungslos abzurocken“. Das sei wie bei einem Metal-Festival, fast jedenfalls: „Siehe da, keine Kopfschmerzen mehr, keine Übelkeit, nur noch Gestank. Toll!“
Nicht nur unsportliche Säufer
Den politisch überaus Korrekten unter euch, die jetzt mahnend den Finger heben und darauf hinweisen wollen, dass Heavy-Metal-Musik in den Bergen akustische Umweltverschmutzung sei, lege ich LoqUitas und Chiquitas Definition ihres Hobbys ans Herz: „Der sportliche Aspekt des Bergsteigens steht beim Gipfelmoshen weit im Vordergrund, unter anderem auch, um dem weit verbreiteten Gerücht ein Ende zu setzen, dass Metal-Fans unsportliche Säufer wären. Inhalt und Zweck des Gipfelmoshens ist es nicht, Ghettoblaster auf die Gipfel zu tragen, sondern in umweltschonender Weise das Headbangen und den Metal zu verbreiten und hoch empor zu heben.“ Und daran ist doch nichts Verwerfliches, oder? Da meine Fähigkeiten als Bergsteiger limitiert sind und eine (weitere) Erstbesteigung (neben dem Mount Nestler 😉 ) daher kaum in Frage kommt, sollte ich mich vielleicht eher auf eine Erstbemoshung konzentrieren. Meine schwindende Haarpracht ist nach Angaben der beiden Urmütter des Gipfelmoshens jedenfalls kein Problem: „Ausrede kurze Haare gilt nicht! Luftgitarrisieren ist auch eine anerkannte Gipfelmoshvariante.“