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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Vor 60 Jahren: Buhl auf dem Nanga Parbat

Hermann Buhl

Hermann Buhl ist ein Dickkopf. Es schert ihn in diesen ersten Juli-Tagen 1953 nicht, dass unten im Nanga-Parbat-Basislager  der Expeditionsleiter Karl Maria Herrligkoffer mehrfach zur Umkehr bläst. Der Deutsche mag ja als Geldbeschaffer und Organisator von Expeditionen taugen, aber nicht als Bergsteiger.  Im Gegensatz zu Buhl, der mit 28 Jahren in Topform ist: 1952 hat der Österreicher in den Alpen die Nordostwand des Piz Badile als Erster im Alleingang durchstiegen, im Februar die Watzmann-Ostwand, ebenfalls solo und im Winter. Und jetzt sieht er eine gute Chance, dem Nanga Parbat auf Haupt zu steigen, diesem Achttausender in Pakistan, den die Nazis zum „deutschen Schicksalsberg“ er- und verklärt hatten. 1225 Höhenmeter und über sechs Kilometer Distanz liegen noch zwischen dem höchsten Lager und dem Gipfel. Als sein Zeltpartner Otto Kemptner nicht zur vereinbarten Zeit zum Aufbruch bereit ist, stapft Buhl alleine los. „Es ist sternenklar, die Mondsichel leuchtet herunter und wirft silbernes Licht auf den vor mir aufstrebenden Grat, es ist windstill, doch klar“, schreibt Buhl später.

Hermann Buhl über seinen Alleingang zum Gipfel des Nanga Parbat

Biwak im Stehen

Nanga Parbat

Er erwartet zunächst, dass sein Gefährte zu ihm aufschließen wird, registriert dann aber, dass Kempter aufgibt. Buhl weiß nun, dass er es allein oder gar nicht schaffen wird. Immer weiter steigt er auf, ignoriert einfach, dass seine Kräfte schwinden. Der pure Wille treibt ihn hinauf. In den frühen Abendstunden des 3. Juli 1953 erreicht Buhl schließlich den höchsten Punkt auf 8125 Metern: „Ich bin mir der Bedeutung des Augenblicks nicht bewusst, fühle auch nichts von Siegesfreude, komme mir gar nicht als Sieger vor. Ich bin nur froh, dass ich heroben bin und all diese Strapazen vorläufig ein Ende haben.“ Doch da täuscht sich Buhl. Das eigentliche Martyrium steht ihm noch bevor. Auf einem kleinen Felsvorsprung stehend verbringt er die Nacht. Buhl schluckt Tabletten gegen Erfrierungen und das Aufputschmittel Pervitin, um nicht einzuschlafen. 41 Stunden nach seinem Aufbruch kehrt er mit letzter Kraft zum obersten Lager zurück. Eine unglaubliche Energieleistung. Buhl sieht aus, als sei er in knapp zwei Tagen um Jahre gealtert.

Expeditionsgefährte Hermann Köllenperger über den Gebrauch von Pervitin

Tod an der Chogolisa

Das beeindruckende Gipfeltrapez der Chogolisa

1995 werden japanische Bergsteiger für denselben Weg 39 Stunden brauchen, trotz modernster Ausrüstung und genauer Wegkenntnis. „Damit wird klar, dass Buhl seiner Zeit mindestens 50 Jahre voraus war“, sagte mir Reinhold Messner, als ich ihn vor zehn Jahren zu Buhls Pionierleistung am Nanga Parbat befragte. „Für einen normalen Bergsteiger war das, was Buhl gemacht hat, nicht überlebbar.“

Alt wird Hermann Buhl nicht. Als er am 27. Juni 1957 mit Kurt Diemberger über den Gipfelgrat des Siebentausenders Chogolisa im Karakorum steigt, bricht unter ihm eine Wächte ab. Buhl stürzt mit ihr in den Tod. Wenige Tage zuvor hat er mit seinen österreichischen Landsleuten Diemberger, Fritz Wintersteller und Marcus Schmuck den Broad Peak erstbestiegen: als kleines Team, ohne Hochträger – eine Revolution im Achttausender-Bergsteigen.

Reinhold Messner über Hermann Buhl

Noch ohne Winterbesteigung

Und der Nanga Parbat? 60 Jahre nach Buhls Coup ist der „Nackte Berg“ ein relativ exklusiver Berg geblieben. Mehr als 300 Gipfelerfolge wurden verzeichnet. Zum Vergleich: Am Mount Everest wurde inzwischen die 6000er-Marke überschritten. Etwa 70 Bergsteiger starben bei dem Versuch, den Nanga Parbat zu besteigen. Im Winter hat es trotz zahlreicher Versuche noch niemand auf den Gipfel geschafft. In den nächsten Jahren wird es am Nanga Parbat wahrscheinlich deutlich ruhiger werden. Der Mordanschlag auf das Basislager auf der Diamirseite in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni dürfte dazu führen, dass viele Bergsteiger und Trekkingtouristen zunächst einmal einen Bogen um diesen Achttausender machen.

P.S. Ja, ja, ich weiß, der 60. Jahrestag ist erst am Mittwoch. Aber dann sitze ich bereits in der Sonne und bin faul.  🙂

Datum

30. Juni 2013 | 20:09

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