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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Göttler: Verhältnis mit Sherpas wird gut bleiben

Die letzten Meter zum Gipfel des Makalu

Viele kennen den Anblick des Makalu, ohne dass es ihnen bewusst ist. Auf Bildern, die vom Gipfel des Mount Everest in Richtung Südostgrat geschossen werden, erhebt sich im Hintergrund der formschöne fünfthöchste Berg der Erde. Nur wenige Kilometer Luftlinie trennen die beiden Achttausender, und doch sind es Welten. In diesem Frühjahr überschlugen sich die Everest-Schlagzeilen: erst die Schlägerei in Lager 2, dann das 60-Jahr-Jubiläum der Erstbesteigung. Da verlor auch ich die Expedition von vier deutschen und einem Schweizer Bergsteiger zum Makalu ein wenig aus den Augen.

Siegrist musste abbrechen

David Göttler, Michael Wärthl, Hans Mitterer, Daniel Bartsch und Stephan Siegrist wollten den Berg im Alpinstil über den anspruchsvollen Westpfeiler besteigen. Siegrist musste die Expedition abbrechen, weil er in der Höhe unerträgliche Kopfschmerzen und Sehstörungen hatte, möglicherweise Folge eines Schädelbruchs einige Jahre zuvor. Die anderen vier gaben ihren ursprünglichen Plan auf und schwenkten auf den Normalweg um. Wärthl kehrte wegen eiskalter Finger kurz vor dem Gipfel um. Die restlichen drei erreichten den höchsten Punkt auf 8485 Metern. Sie verzichteten bei ihrem Aufstieg auf Flaschen-Sauerstoff.

Ich erwische David Göttler auf der Heimfahrt aus dem Bergell, wo der Münchner Bergführer mit zwei Kunden geklettert ist. Der 34-Jährige war in den vergangenen Jahren mehrfach mit Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits auf Expedition. Mit Gerlinde bestieg Göttler unter anderem 2008 den Dhaulagiri und 2012 den Nuptse. 

Gipfelfoto: Mitterer, Göttler und Bartsch (v.l.)

David, am 21. Mai standest du mit Hans Mitterer und Daniel Bartsch auf dem 8485 Meter hohen Makalu. War es ein Gipfeltag wie aus dem Bilderbuch? 

Wir waren schnell unterwegs. Wir hatten brutales Glück, dass wir zusammen mit einem Finnen (Samuli Mansikka) alleine dort oben waren. Die Wetter- und Schneeverhältnisse waren perfekt: Fast kein Wind, normal warm für so einen hohen Achttausender, was bedeutet nicht zu kalt. Es war unglaublich. Es wäre schön, wenn jeder Gipfeltag so wäre. 

Der Makalu war dein fünfter Achttausender. Wie stufst du ihn in deiner persönlichen Hitliste der wichtigsten Erfolge ein? 

Gerade die letzte Etappe zum Gipfel ist anspruchsvoll. Dort hingen nur alte Fixseile, die man nicht wirklich gerne benutzt. Es war sicher einer der anspruchsvolleren Aufstiege. 

An eurem Gipfeltag kehrte eine große Gruppe von Bergsteigern kommerzieller Expeditionen etwa 200 Meter unter dem höchsten Punkt um. Hinterher beklagten sich einige darüber, dass die Sherpas entgegen der Absprache die letzte Passage zum Gipfel nicht mit Fixseilen gesichert hätten? Was war da los? 

Wir haben auf einer Höhe von rund 8200 Metern um drei Uhr nachts zu der Gruppe aufgeschlossen, die viel früher als wir gestartet war. Als es dann hell wurde sagten die Sherpas, sie hätten zu wenig Fixseile dabei, alle sollten umdrehen. Sie waren schon sehr lange unterwegs. Vielleicht war es eine weise Entscheidung der Sherpas, zumindest für einen Großteil ihrer Kunden. Es mag sein, dass sie nur vorgeschoben haben, dass die Fixseile ausgegangen seien. Ich habe ihnen vorgeschlagen, von weiter unten 200 Meter Fixseil für die letzte Passage heraufzuholen. Ich hatte auch noch etwa 40 Meter im Rucksack. Das haben sie total abgeblockt und gemeint, es dauere zu lange. Aber ich kann wirklich nur Vermutungen anstellen, was da wirklich los war und halte mich deshalb lieber zurück. 

Ursprünglich wolltet ihr den Gipfel im Alpinstil über den Westpfeiler besteigen. Dann musste Stephan Siegrist, eines eurer Teammitglieder, die Expedition wegen gesundheitlicher Probleme abbrechen. Warum habt ihr euren Plan dann aufgegeben, ihr wart zu diesem Zeitpunkt noch zu viert und eine schlagkräftige Mannschaft?

Da kamen mehrere Faktoren zusammen. Nach Stephans Ausfall waren wir ein starker Mann weniger. Zudem waren die Verhältnisse dort brutal, blankes Eis. Da kommt man einfach nicht mehr vorwärts. Schon während der Erkundung des Westpfeilers haben wir wegen des Blankeises im unteren Bereich einige Passagen sichern müssen, die eigentlich flach waren. Darüber war der Fels brüchig. Wir haben abgewogen. Die Chance, über den Westpfeiler auf den Gipfel zu gelangen, war minimal, die über den Normalweg relativ gut.  

Ihr wart drei von nur sieben Bergsteigern, die in diesem Frühjahr den Gipfel erreichten. Habt Ihr den Makalu als einsamen Berg erlebt? 

Ja, im Vergleich zu den letzten Expeditionen zum Lhotse und Nuptse, wo ich immer im Everest-Basislager war. Ich habe auch noch nie ein so schönes Basislager gehabt. Es lag unterhalb des Lagers für die Normalroute, im Grünen, mit Blick auf Lhotse, Everest, Makalu und Baruntse. Dort waren wir alleine, und das an einem Achttausender! Auch am Berg hatte ich nicht das Gefühl, dass viele unterwegs wären. Wir haben uns eher gefreut, die Leute zu treffen und mit ihnen zu plaudern. Wir hatten eine Gaudi mit den Sherpas, die am Normalweg unterwegs waren. Es war immer freundlich und nett mit ihnen. 

David Göttler

Am Everest, rund zehn Kilometer Luftlinie entfernt, griffen Sherpas Ende April in Lager 2 die Topbergsteiger Ueli Steck, Simone Moro und Jonathan Griffith an. Hat sich das bis zu euch herumgesprochen? 

Wir waren dabei, uns zu akklimatisieren. Wir hatten gerade einen Sherpa aus einer Spalte gezogen, in die er gestürzt war. Er hat sich hundertmal bedankt, wir seien seine Lebensretter. Wir haben das gar nicht so empfunden. Es ist doch ganz normal, dass man sich gegenseitig hilft. Dann kamen wir ins Basislager herunter, und unsere Küchenmannschaft hörte in einem kleinen Radiogerät diese Nachricht, die der lokale Sender „Khumbu Radio“ verbreitete. Das war für uns total unglaublich. Wir haben uns gefragt, was muss da vorgefallen sein, dass es so eskaliert. 

Ihr habt am Makalu wie das Trio am Everest auf Sherpa-Unterstützung verzichtet. Wie haben sich die Sherpas am Makalu euch gegenüber verhalten? 

Sie sind immer nett gewesen. Als wir auf den Normalweg umgeschwenkt sind, haben sie uns schon gefragt: Was macht ihr denn jetzt hier? Wir haben ihnen erklärt, dass wir über den Normalweg aufsteigen wollen. Für ihre Leistung im unteren Bereich des Bergs haben wir sie dann auch honoriert, indem wir ihnen ein paar Eisschrauben und Fixseile überlassen haben. Damit war die Sache erledigt. Wir haben uns immer gegenseitig geholfen. Wir haben ihnen zum Beispiel den Wetterbericht weitergegeben. Die Sherpas haben uns mit anderen Informationen versorgt. Es war ein angenehmes, freundliches Miteinander.   

Glaubst du, dass das Verhältnis zwischen den Sherpas und den Profibergsteigern nach dem Zwischenfall nachhaltig getrübt ist? 

Ich hoffe nicht. Ich habe aber auch keine Angst, wieder dorthin zu reisen. Ich bin der festen Meinung, dass es auch weiterhin ein gutes Verhältnis sein wird. Ich glaube, der Everest ist ein sehr spezielles Terrain, wo viele Extreme aufeinander prallen. Die Sherpas haben dort im Vergleich zum Makalu oder anderen Bergen einen ungeheuren Druck. Finanziell steht eine Menge dahinter, dann die vielen Leute, die erwarten, dass endlich die Fixseile in die Route kommen, dass es vorwärts geht.

Von der nächsten Frühjahrs-Saison an soll im Everest-Basislager ein Team der Regierung seine Zelte aufschlagen, um vor Ort zu kontrollieren, ob sich die Leute den Regeln entsprechend verhalten. Sind damit alle Probleme gelöst? 

Ich denke nicht, dass damit alle Probleme gelöst sind. Es ist ja die Frage, ob bei dem Streit, der eskaliert ist, wirklich Regeln gebrochen wurden,  von wem auch immer. Oder ob es sich um ungeschriebene Gesetze am Everest handelt, die die Sherpas auf die eine Weise interpretieren und manche Bergsteiger eben anders.

Das eigentliche Problem, dass dort zu viele Leute unterwegs sind, ist nur sehr schwer zu lösen. Wenn man das Klettern mit zusätzlichem Sauerstoff abschaffen würde, würde sich das Ganze dort schnell regulieren, und es gäbe keine Probleme mehr. Aber das kann man nicht vorschreiben. Wer und in welcher Spielform des Bergsteigens auch immer dort sein Glück versucht, soll es probieren und glücklich werden. Das bleibt jedem selbst überlassen.

Ist der Everest für dich ein attraktives Ziel? 

Ja. Den Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff zu besteigen, ist auch über den Normalweg Herausforderung genug. Das würde mich schon reizen.

Datum

5. August 2013 | 16:55

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