Ueli Stecks großer Annapurna-Coup
Jetzt ist es heraus: Ueli Steck hat wirklich die Annapurna-Südwand solo durchstiegen und damit ein weiteres Glanzstück abgeliefert. Nur 28 Stunden brauchte der Topbergsteiger aus der Schweiz für Auf- und Abstieg. Während einige schon vom „Aufstieg des Jahrzehnts“ schwärmen, hält Ueli den Ball flach: „Ich hatte Glück, war gut vorbereitet und hatte die Bedingungen des Jahrhunderts!“ Es war die erste Solobegehung der stark lawinengefährdeten Wand direkt zum Hauptgipfel hinauf. Der Slowene Tomaz Humar war 2007 im Alleingang am östlichen Rand der Wand zum niedrigeren Ostgipfel aufgestiegen. Steck vollendete jetzt die Route, die 1992 von Pierre Beghin and Jean-Christophe Lafaille bis auf eine Höhe von 7400 Metern eröffnet worden war. Dort hatten die beiden Franzosen wegen schlechten Wetters umkehren müssen, Beghin war auf 7200 Metern in den Tod gestürzt. Wie schon bei seiner Solodurchsteigung der Shishapangma-Südwand 2011 ergab sich relativ spontan Stecks Beschluss, allein durch die Annapurna-Südwand zu klettern. „Don Bowie, mein Partner, hat am Bergschrund entschieden, nicht einzusteigen“, schreibt Ueli auf seiner Homepage. „Er meinte, es sei ihm technisch zu anspruchsvoll, um seilfrei zu klettern. Das ist die Grundvoraussetzung für eine solche Route. Ich bin vom Bergschrund alleine weiter geklettert.“
Einzige Chance in der Nacht
Es habe zwar ein recht starker Wind geweht, insgesamt aber sei das Wetter gut gewesen. Das, so Ueli, habe ihm geholfen, sich „ziemlich schnell auf das Klettern zu fokussieren. Es ging einmal mehr fast alles wie von selbst.“ Auf 6100 Metern holte sich der 37-Jährige Zelt und Kocher, die er und Don zuvor bei einem Akklimatisierungsanstieg in der Wand deponiert hatten. 400 Meter höher baute Steck das Zelt in einer geschützten Eisspalte auf, aß, trank, und wartete darauf, dass die Sonne unterging. „Es wurde schnell dunkel und ruhig. Das war meine Chance“, schreibt Ueli. „Ich war mir sicher, dass am Morgen der Wind wieder aufdreht. Daher war die einzige Möglichkeit während der Nacht den Gipfel zu erreichen. Die Headwall (oberer Wandteil) war mit einer fast durchgehenden Firn/Eislinie durchzogen. Somit sollte es möglich sein, in der Nacht den Weg zu finden.“ Nach einer Stunde im Zelt sei er wieder aufgebrochen. „Die Steilheit war erstaunlicherweise nicht wirklich senkrecht, nur ein paar Aufschwünge waren senkrecht. Ideales Solo-Gelände also. Solange ich so klettern kann, bin ich extrem effizient. Das hatte ich die ganze Zeit im Hinterkopf. Die dünne Luft auf 7000 Meter ist noch nicht wirklich ‚Todeszone‘. In dieser Höhe kann man sich noch recht gut vorwärts bewegen. Einzig die Kälte war etwas mühsam.“
Nur ein Daunenhandschuh
Ueli kletterte dort oben nur noch mit einem Daunenhandschuh, die andere Hand war lediglich mit einem dünnen Fingerhandschuh geschützt. „Den Daunenhandschuh habe ich wahlweise links oder rechts getragen, je nach Kälte der jeweiligen Hand“, berichtet Steck. Beim Versuch, den oberen Wandteil zu fotografieren, hatte ihn Stunden zuvor eine Ladung Schnee aus der Wand (Spindrift) erwischt. Ein Daunenhandschuh und die Kamera waren in der Tiefe verschwunden.D
Fünf Minuten auf dem Gipfel
Der obere Wandteil sei ihm kürzer vorgekommen, als er gedacht habe, „schwierig zu sagen wie viele Seillängen, da ich kein Seil benutzt habe.“ Nach dem Ausstieg auf den Gipfelgrat sei es nur noch ein Wettlauf gegen den Wind gewesen, meint Ueli. Schließlich erreichte der Schweizer den höchsten Punkt auf 8091 Metern. „Es war Nacht, der Himmel voller Sterne, als vor mir der Grat wieder herunterging. Ich habe mit meinem Höhenmesser alles genau überprüft, den Grat verfolgt, und ich wusste, ich war auf dem höchsten Punkt.“ Er habe nur fünf Minuten auf dem Gipfel verweilt. „ Ich war immer noch voll unter Spannung. Mein Ziel war es, unten am Bergschrund wieder anzukommen!“
„Inneres Feuer brennt wieder“
Erst als ihm auf dem Gletscher seine Expeditionsgefährten entgegenkamen, sei die Spannung von ihm abgefallen, sagt Ueli. „Es ist sensationell! Ich habe es geschafft, alles ist vorbei.“ Nach dem Schockerlebnis im Frühjahr am Mount Everest scheint Ueli wieder seinen Frieden mit dem Himalaya gemacht zu haben. „Mein inneres Feuer brennt wieder. Nach dem Everest war es fast erloschen. Nun ist es erneut voll aufgeflammt. Das macht mich glücklich und ich denke, ich beginne, den Spaß am Leben wiederzufinden.“ Chapeau, Ueli!