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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Gelesen (und mit dem Autor gesprochen): Das größere Wunder

Thomas Glavinic auf der Buchmesse

Für einen guten Roman bin ich immer zu haben – und wenn er dann noch am Everest spielt! Dass beides zusammen kommt, ist selten. Ich möchte euch „Das größere Wunder“ aus der Feder von Thomas Glavinic ans Herz legen. Romanheld Jonas will als Kunde einer kommerziellen Expedition den Mount besteigen. Seine Erlebnisse am höchsten Berg der Erde bilden den Rahmen für eine starke Geschichte, in der gelebt, geliebt und auch gestorben wird. Mehr verrate ich nicht. Immerhin: Glavinics Roman gehörte zu den 20 Werken, die für den Deutschen Buchpreis 2013 nominiert wurden. Ich habe den 41 Jahre alten Österreicher auf der Frankfurter Buchmesse getroffen.

Thomas Glavinic, zunächst einmal Glückwunsch! Ich glaube, das ist das erste Everest-Buch, das es auf die Kandidatenliste des Deutschen Buchpreises geschafft hat.

Ich glaube, es gibt auch nicht so wahnsinnig viele Romane, die am Everest spielen. Da gab es nicht so viel Konkurrenz.

Wie hoch war der höchste Berg, den Sie bestiegen haben?

Das muss die Rax gewesen sein, 2500 Meter oder so ähnlich.  (Anm. Der höchste Punkt des Massivs an der Grenze zwischen Steiermark und Niederösterreich, die Heukuppe, ist 2007 Meter hoch.)

Ihr Romanheld Jonas besteigt den Mount Everest. Warum musste es denn gleich der höchste Berg der Erde sein?

Erstens weil mich der Everest schon seit der Kindheit fasziniert und ich über keinen anderen Berg so viel gelesen habe. Zweitens weil diese Geschichte ja von einem Menschen handelt, der die Welt bereist und sehr viele Abenteuer erlebt. Geführte Touren gibt es zwar auch an anderen Achttausendern, aber die meisten meines Wissens nach doch am Everest. Da kann man schon mal reinstolpern, so wie er es tut. Dann zahlt man 50.000 Dollar oder Euro oder etwas in dieser Preiskategorie und kann sich de facto auch hochschleppen lassen.

Sie sagen der Everest hat Sie schon immer fasziniert. Was genau daran?

Ich war sechs Jahre alt, als Messner und Habeler da oben die ersten Menschen ohne künstlichen Sauerstoff waren. Das wurde damals in den Sportnachrichten im Fernsehen gezeigt. Mich haben diese Menschen fasziniert, die so anders waren. Wenn sie geredet haben, hat man gemerkt, dass sie psychisch ein bisschen anders strukturiert waren als Skifahrer, die sich einfach nur einen Berg herunterschmeißen. Das waren denkende, tiefsinnige Menschen. Und dann kommt so einer mit einem eisverkrusteten Gesicht herunter und sagt: Na ja, es war so und so und wir hätten es fast nicht geschafft. Also, ein Kind findet das faszinierend.

Thomas Glavinic: Das waren denkende, tiefsinnige Menschen

Jonas ist von Kind auf ein Abenteurer. Er wagt lebensgefährliche Dinge, verliert sogar bei einem Abenteuer seinen besten Freund.  Er ist eigentlich immer auf der Überholspur, auf der Kante und man fragt sich: Wie kann er das überhaupt überleben? Liegt für Sie der Reiz des Abenteuers darin, dass es in gewisser Weise sinnfrei ist?

Sinnfrei? Das stelle ich infrage. Wenn ich selbst etwas gemacht habe, was ein bisschen an der Kante war, hat es mich weitergebracht. Das heißt nicht, dass ich jeder Art von Adrenalinkick das Wort reden möchte. Ich kann mit sehr vielen Dingen, wie Bungeejumping oder so, nichts anfangen. Aber ich glaube, dass man an die eigenen Grenzen gehen sollte, immer wieder mal. Das ist nicht sinnfrei, sondern macht einen zu einem anderen Menschen. Ich glaube, das ist nicht das Schlechteste.

Sie beschreiben in Ihrem Buch sehr eindringlich und detailgetreu, wie man sich als Bergsteiger in großer Höhe fühlt. Woher haben sie diese Informationen?

Ich habe 15 Jahre so ziemlich alles gelesen, was es darüber zu lesen gibt und jede Dokumentation gesehen, die es zu sehen gibt. Außerdem war ich mit einem in Österreich durchaus bekannten Höhenbergsteiger befreundet, mit Gerfried Göschl, der auch ohne künstlichen Sauerstoff auf dem Everest war. (Anm. Göschl wird seit März 2012 am Achttausender Gasherbrum I in Pakistan vermisst). Aber seine Erzählungen haben mir interessanterweise nicht sehr viel Neues gebracht, sondern mir eher – und das war extrem wichtig –  das Gefühl vermittelt, wie so jemand tickt. Aber die sachlichen Details kann man sich zusammenlesen. So wie Karl May das gemacht hat, auch wenn es bei dem ein bisschen schief gegangen ist. (lacht)

Haben Sie Ihr Buch von Bergsteigern gegenlesen lassen?

Ich habe es versucht. Ich habe mehreren geschrieben, ich habe keine Antwort erhalten. Aber da es nach dem Erscheinen schon einige Bergsteiger gelesen haben, bin ich mir relativ sicher, dass es weitgehend fehlerfrei ist.

Ich bin beim Lesen über die „Inford-Skala“ gestolpert , mit der man angeblich die Lebensgefahr eines Abenteuers einordnen kann. Gibt es die wirklich?

Nein, reine Erfindung.

Sie haben sich ja überhaupt einige Freiheiten genommen. Manchmal habe ich gedacht, in Ihrem Roman steckt ein bisschen Märchen, andererseits wirkt es aber auch sehr realistisch. Wollten Sie diese Mischung?

Darüber habe ich mir nicht wirklich den Kopf zerbrochen. Ich wollte, dass das Buch in sich funktioniert, dass es stimmig ist. Mir persönlich gehen Märchen schrecklich auf die Nerven. Als Kind habe ich mich vor eigentlich jedem Märchen nur gefürchtet. Vielleicht hat das Buch auch diesen märchenhaften Zug, weil darin vieles vorkommt, was mir ein bisschen Angst macht. Klar war, dass es ein Liebesroman sein muss. Ich wollte viel über Liebe erzählen und außerdem etwas über die Überwindung von Angst. Das musste zusammen stimmen. Ob jetzt alles „reality-proved“ ist, überlasse ich anderen. Es ist Literatur, da kann man schon ein paar Sachen machen.

Große Angst hat Ihre Hauptfigur Jonas aber nicht. Er steigt ja wider alle Vernunft auf. Er ist eigentlich krank. Man sagt ihm, er solle unten bleiben und er geht trotzdem los.

Ja, aber Leute machen ständig Sachen, die sie nicht machen sollten, wo andere sagen: Bitte tu das nicht! So sind wir. Ich kenne fast niemanden, der das nicht schon gemacht hat, wider alle Vernunft ein hohes, vielleicht zu hohes Risiko einzugehen. Und manchmal zahlt man halt dafür einen Preis. Aber mein Gott, was wäre die Welt, wenn wir es nicht tun würden? Ich mag solche Leute.

Thomas Glavinic: Wider alle Vernunft

(An dieser Stelle führte ich einige Details vom Schluss des Buchs an, bis Glavinic rief: Spoiler-Alarm! Sie verraten zu fiel! Deshalb lasse ich die Einzelheiten hier weg.) Das Ende wirkt fast schon ein bisschen kitschig.

Es ist ein Liebesroman. Wenn das jemand kitschig findet, soll es so sein. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass Liebe immer ein bisschen kitschig ist. Es gehört dazu. Ich finde das keinen schlimmen Vorwurf.

Es gibt auch Kritiker, die ihnen vorhalten, sie hätten in ihrem Buch viele Klischees bedient. Denken Sie, dass der Everest so etwas wie ein Wirklichkeit gewordenes Klischee ist?

Viel Verkehr auf der Normalroute

Ich frage ich mich, wie viel Ahnung die Leute haben, die mir Klischees vorwerfen. Ich habe mich über die Realität erkundigt. Ich weiß ein bisschen darüber Bescheid und habe ja mit Leuten geredet, die dort waren. Der Everest ist nun einmal ein Feld, auf dem sich Leute verwirklichen wollen und nicht nur das, sie wollen sich profilieren. Sie wollen, dass auf ihrer Visitenkarte Everest-Besteiger steht. Da gibt es einen Haufen Glücksritter, Leute, die als Bergsteiger dort oben nichts verloren haben. Mich faszinieren die echten Bergsteiger, die alleine hinaufsteigen, ohne Kilometer von Fixseilen und Sherpas, die sie hochtragen, ihren Rucksack oder was auch immer. Ich war noch nicht dort, aber ich glaube, dass es sich wirklich nicht um Klischees handelt. Deswegen prallt der Vorwurf ein bisschen an mir ab.

Thomas Glavinic: Ein Haufen Glücksritter

Nachdem Sie sich jetzt 15 Jahre mit der Materie beschäftigt und ein Buch darüber geschrieben habe. Juckt es Sie nichts, wenigsten einmal in dieses Everest-Basislager zu gehen, um zu gucken, wie nahe sie an der Wirklichkeit waren?

Ja, ungeheuer. Das Problem ist nur, dass mein Lebenswandel es vermutlich nicht zulässt. Ich glaube, es gehört eine gewisse körperliche Fitness dazu, und wenn man ständig nur auf Lesereisen ist, kriegt man das nicht hin. Von meiner ganzen Psychostruktur bin ich so gebaut, dass ich so etwas nur mit einem Freund angehen würde, zu dem ich dann sage: Jetzt machen wir diesen Quatsch! Denn eigentlich habe ich keine Ahnung, warum ich da hochsteigen soll. Ich muss anderen nicht erzählen können, dass ich irgendwo gewesen bin. Wenn überhaupt, mache ich es für mich. Und momentan bin ich noch nicht so weit zu sagen, ich brauche das für mich. Bei dem Gedanken an einen zwei oder dreiwöchigen Trek wird mir ganz anders. Mir wird, ehrlich gesagt, schon schlecht, wenn ich nur daran denke, zwei Stunden zu gehen.

Datum

16. Oktober 2013 | 10:23

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