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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Messner: „Das war wieder typisch Ueli Steck“

Reinhold Messner in Köln

Eigentlich hatte ich Reinhold Messner diese Fragen schon beim International Mountain Summit in Brixen stellen wollen. Doch dort war ein geplanter Termin geplatzt, mit wehendem Schoß hatte der 69-Jährige den Veranstaltungsort verlassen, warum auch immer. Doch lange musste ich auf den Südtiroler nicht warten. Er kam gewissermaßen zu mir. In meiner Heimatstadt Köln hielt der wohl bekannteste Bergsteiger der Welt am Wochenende einen seiner vielen Vorträge – wieder einmal vor ausverkauftem Haus. Messner zieht – immer noch. Vor der Veranstaltung stand er mir Rede und Antwort.

Reinhold Messner, Sie waren kürzlich in Pakistan, wenige Monate, nachdem Terroristen im Basislager zu Füßen des Nanga Parbat elf Bergsteiger erschossen haben. Was war das für eine Atmosphäre?

Der Berg hat sich nicht verändert, aber die Zusammenhänge sind viel schlimmer als ich gedacht habe. Es waren Taliban-nahe Auftragskiller, die ein Blutbad anrichten sollten. Im Grunde waren andere das Ziel. Ein großes Fest mit Polo-Spielen usw. wurde abgesagt, wahrscheinlich weil man Sorge hatte, das etwas passieren könnte. Dann ist das Killerkommando eben zum Nanga Parbat gegangen. Die haben ihr Geld kassiert und sind verschwunden. Man hat einige festgenommen, aber man weiß nicht, wer der Auftraggeber war. Sie haben einerseits den Norden Pakistans treffen wollen, den Tourismus vor Ort. Der ist um 90 Prozent eingebrochen. Sie wollten aber auch den Westen treffen. Wir können von Glück reden, dass es nicht mehr Opfer gegeben hat.  Denn es waren mehr als 60 Leute am Nanga Parbat, die meisten hielten sich in den höheren Lagern auf.

Glauben Sie, dass die Bergsteiger in den nächsten Jahren einen Bogen um diesen Berg machen?

Nanga-Parbat-Basislager auf der Diamir-Seite

Es gibt schon wieder neue Anfragen für Expeditionen. Aber die Diamirseite ist und bleibt auch wahrscheinlich gesperrt. Die Süd-  und die Nordseite bleiben offen. Da kann man diesen Winter schon hingehen. Der nördliche Teil des Karakorum rund um den K 2 ist nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, dort gab es keine Probleme. Aber ich habe im Rahmen meiner Recherchen auch erfahren, dass oberhalb von Chilas, dort wo es ins Diamir-Tal hineingeht, vier Busse aufgehalten, alle Männer herausgeholt und erschossen worden sind. Frauen und Kinder mussten zusehen, dann wurden sie vertrieben. Anschließend wurden die Busse angezündet. Und auf dem Babusar-Pass, einem Pass der vom Swat-Tal am Nanga Parbat vorbei Richtung Indus-Tal führt, hat man mit Jeeps Ähnliches gemacht. Diese Nachrichten erreichten Europa nicht. Aber jetzt hat der Terrorismus auch den Norden Pakistans erreicht.

Messner: Terrorismus hat Norden Pakistans erreicht

Sie unterhalten dort auch Hilfsprojekte, unter anderem drei Schulen. Herrscht unter den Einheimischen eine Atmosphäre der Angst?

Ich hatte die Sorge, dass diese Taliban-Kräfte ein Interesse haben könnten, die Schulen, in die zum Teil auch Mädchen gehen dürfen, niederzubrennen. Das ist offensichtlich nicht der Fall, so weit gehen sie nicht. Aber ich habe meine Hilfe für Pakistan gestoppt, aus Sorge, dass das Ganze in einen Bürgerkrieg fällt und wirklich kaputt geht. Das wäre schade. Ich erhalte nur die Projekte, die wir aufgebaut haben, und bezahle soweit versprochen die Lehrer weiter. Aber sonst werde ich jetzt die Hilfen, mit meiner kleinen Stiftung, vor allem nach Nepal verschieben.

Genau dort, in Nepal, hat der Schweizer Topbergsteiger Ueli Steck kürzlich für einen Paukenschlag gesorgt, als er die Annapurna-Südwand solo durchstiegen hat. Wie bewerten Sie diese Leistung?

Ueli Steck In der Annapurna-Südwand

Ueli Steck hat heuer am Everest nicht gerade Glück gehabt. Der Angriff in Lager 2 hat ja eigentlich nicht ihm gegolten. Die Sherpas wollten eigentlich andere treffen, wirkliche Parasiten. Steck und Simone Moro sind keine parasitären Bergsteiger, auch wenn sie im Khumbu-Eisbruch die versicherte Route genutzt haben, ohne es mit den Sherpas abzusprechen oder dafür zu bezahlen. Im letzten Jahr ist Ueli Steck auf der Normalroute auf den Everest gestiegen, das war nicht gerade Steck-like. Aber was er jetzt gemacht hat, war wieder typisch Ueli Steck. Schnell, möglichst in der Nacht, um dem Steinschlag weniger Chancen zu geben, eine sehr schwierige Wand. Er hat es schon zweimal versucht, ist gescheitert, einmal sogar ziemlich dramatisch, weil ihn ein Stein getroffen hat. Ich habe großen Respekt vor dieser Tour. Die Art und Weise, die Logistik, die er vorgetragen hat, ist die einzige, die es erlaubt, so schwierige und gefährliche Wände im Alpinstil zu machen.

Er hat ja im Aufstieg seine Digitalkamera verloren, er hatte kein GPS-Tracking-Gerät mit. Empfinden Sie es als Makel, dass Stecks Aufstieg nicht hundertprozentig dokumentiert ist?

Wir sehen wieder einmal, dass da irgendwelche Leute, die Probleme mit sich selber haben, herumkritisieren. So wie es Ueli Steck beschreibt, ist es absolut nachvollziehbar. Einer ist alleine unterwegs, seine Kamera ist kaputt, es gibt keinen Partner, der eine zweite Kamera im Rucksack hat, und dieses GPS-System hat er halt nicht dabei. Ich sehe keinen Grund zu zweifeln, weil seine Logistik die einzig brauchbare ist. Und wenn er nicht die Fähigkeit hat, wer soll sie denn sonst haben? Dass vor allem in der Schweiz Zweifel aufkommen, wo Ueli Steck so bestimmend geworden ist in der Kreativität des modernen Bergsteigens und wo es natürlich auch Rivalitäten gibt, ist nachvollziehbar. Das ist menschlich. Aber übers Netz oder Journalisten zu stecken, ja es könnte sein, es könnte aber auch nicht sein, das ist eine Art und Weise, die nicht unbedingt für die Bergsteiger spricht.

Messner: Wenn nicht Ueli Steck, wer dann?

Ueli Steck hat es mit anderen Worten nicht nötig, anderen etwas vorzumachen. Hat es denn der Deutsche Alpenverein nötig, jetzt mit dem DAV Summit Club unter die Anbieter kommerzieller Everest-Expeditionen zu gehen?

Blick vom Kala Pattar auf Everest und Khumbu-Gletscher

Der Deutsche Alpenverein hat ausnahmsweise nicht mein Plazet, aber ich kann es verstehen. Er hat sich ja lange Zeit am Everest zurückgehalten. Aber es ist kein Unterschied, ob ich den Everest präpariere oder den Gasherbrum I oder II oder den Dhaulagiri oder auch den Nanga Parbat. Der Deutsche Alpenverein hat seit vielen Jahren dieses Spiel mitgemacht und Achttausender angeboten, die für Massenaufstiege präpariert wurden.

Ich war im Frühjahr am Mount Everest und habe ein bisschen umgedacht. Das Basislager war perfekt sauber, die Toiletten wurden alle zwei Tage aus den einzelnen Camps ausgeflogen. Die Organisatoren sind inzwischen so erfahren, dass sie sich zusammengerauft haben und gemeinsam jeden zweiten Tag eine Sitzung abhalten: Wer kümmert sich um Lager 2? Welcher Koch ist da oben? Wer hängt die letzten Seile vom Südsattel bis zum Gipfel? Das wird so gut organisiert, dass auch keine Staus mehr entstehen, weil man die Gruppen  –  oder wie soll ich sagen? – diese Klienten, die Touristen hintereinander hinaufführt.

Warum soll der Deutsche Alpenverein zurückstehen? Das ist halt der größte Hype. Ich garantiere, in zehn Jahren werden alle Achttausender im Frühling, Herbst oder Sommer angeboten, je nachdem, wo sie liegen. Vielleicht der K 2 nur alle paar Jahre, der Dhaulagiri alle zwei Jahre, aber es werden alle angeboten, und alle Achttausender werden im touristischen Stil bestiegen. Die internationalen Veranstalter sind sehr, sehr gut. Da kann man schon sagen: Wenn ich bei denen gebucht habe, geht es mir im Basislager gut. Sie passen auf, dass ich gut akklimatisiert bin, geben mir sehr gute Führer mit. Ich werde betreut, nicht gerade wie im Kindergarten, aber so, dass ich auch als ganz bescheidener Bergsteiger sehr wahrscheinlich zum Gipfel komme und dabei wahrscheinlich nicht umkomme. Allerdings null ist das Risiko nicht.

Messner: Ich kann den Alpenverein verstehen

Was halten Sie von der Ankündigung der nepalesischen Regierung, im Basislager auf der Südseite einen Außenposten mit Beobachtern einzurichten, die darauf achten, dass sich jeder an die Vorschriften hält?

Ich halte überhaupt nichts davon, dass man die Berge mehr und mehr bürokratisiert. Die Bergsteiger müssen selber in der Lage sein, auseinanderzudividieren, was und wie sie es tun, damit für alle Platz ist. Und es ist für alle Platz. Die selbständigen, die traditionellen Bergsteiger mögen dorthin gehen, wo die anderen nicht sind, wo sie wirklich die Spur selber legen, alles selber machen, in ihrem Stil. Jeder Stil ist gerechtfertigt. Die Touristen haben den Everest für sich erobert, weil die Veranstalter so gut geworden sind. Das steht denen auch zu. Wenn wir es in den Alpen schon 150 Jahre machen, warum sollen wir es am Everest verbieten?

Aber es muss genau beschrieben werden, was traditionelles Bergsteigen und was Tourismus ist. Vor allem der Deutsche Alpenverein hat in den letzten 20 Jahren alles getan, den klassischen Alpinismus in Sport und Tourismus zu verwandeln. Das ist ihm gelungen mit den Kletterhallen, den eingebohrten Routen, mit dem Reiseunternehmer Summit Club, der inzwischen schon hundertmal kopiert worden ist. Das ist für den Alpenverein ein großer Erfolg. Was dabei verloren geht, ist der große Erfahrungsraum Berg. Aber die jungen Leute, die kreativ sind, wie David Lama, Hansjörg Auer oder Steve House, werden ihre Spielfelder schon finden. Es sind viel weniger als früher, also steigen sie sich weniger auf die Zehen. Nachdem ich heuer am Everest war und gesehen habe, wie vorbildlich dieser Tourismus am Everest funktioniert, habe ich entschieden, mein letztes Bergmuseum am Kronplatz dem traditionellen Bergsteigen zu widmen – auf dass dieser Wert traditionelles Bergsteigen als Erfahrungsmöglichkeit für den Menschen nicht untergeht.

Datum

4. November 2013 | 16:33

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