More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Alexander Polli: „Ich habe extreme Angst vor dem Tod“

Alexander Polli

Der Traum, wie ein Vogel zu fliegen, ist so alt wie die Menschheit. Bis zu dem Moment, wo der Springer den Fallschirm öffnet, kommt ein Basejump diesem Traum schon recht nahe. Noch näher am Vogelflug ist jedoch der Sprung mit einem sogenannten „Wingsuit“, einem Anzug, der den Springer wie eine Fledermaus ins Tal rasen lässt. Einziger Haken an der Sache: Ein Fehler bedeutet meistens den Tod. Allein in diesem Jahr sind über 20 Springer ums Leben gekommen. Darunter waren der Kanadier Mario Richard und der Brite Mark Sutton. Der 47 Jahre alte Richard war der Ehemann der bekannten US-Kletterin Steph Davis. Der 42-jährige Sutton wurde weltweit bekannt, als er bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2012 in London James Bond doubelte und aus einem Hubschrauber heraus mit einem Fallschirm ins Olympiastadion schwebte. Beide starben im August bei Sprüngen mit Wingsuits, Richard in Italien, Sutton in der Schweiz.

Beim International Mountain Summit in Brixen habe ich mit Alexander Polli gesprochen. Der 28 Jahre alte gebürtige Norweger, der meist in Italien lebt, ist einer der erfahrensten Wingsuit-Springer der Welt. In diesem Jahr sorgte er für Furore, als er mit rund 250 Stundenkilometern durch ein Felsloch in Spanien sprang (siehe Video unten).

Alex, viele sagten, es ist absolut verrückt, was du machst. Du riskierst dein Leben. Wozu?

Ich sehe es nicht so, dass ich in erster Linie mein Leben riskiere. Ich habe mich so gründlich auf das vorbereitet, was ich mache. Vor meinem ersten Basejump habe ich in zwei Jahren 1500 Fallschirmsprünge absolviert. Damit habe ich einen Trainingszustand erreicht, bei dem es nicht mehr darum geht, ob ich fliegen kann, wenn ich von einer Felskante abspringe. Ich bin mir vielmehr sicher, dass ich fliegen kann. Ich habe es nie so gesehen, dass ich mein Leben riskiere. Ganz ehrlich, ich habe extreme Angst vor dem Sterben, und dazu habe ich noch Höhenangst.  Dass ich diesen Sport treibe, verdanke ich der Tatsache, dass ich nicht der Erste war. Andere Fallschirmspringer und Basejumper machten es schon seit 20 Jahren. Ich habe mir immer gedacht: Warum können die das und ich nicht? Fehlt mir irgendetwas oder ist es einfach die Angst, die mich stoppt?

Aber du springst immer weiter? Was gibt dir das Ganze?

Ich bin gerade gestern vom Monte Brento gesprungen, zusammen mit einem Vater und seinem Sohn. Der Vater ist 61 Jahre alt, der Sohn mit 26 etwa in meinem Alter, und wir sind zusammen gesprungen! Auch heute ist es noch so, dass ich da oben in meinem Wingsuit stehe und anfangs denke: Was mache ich hier eigentlich? Bin ich ein Idiot oder was? Aber dann werde ich mir bewusst, was ich als nächstes tun werde und dass ich es genießen kann, weil ich das ganze Training hinter mir habe. Und, mein Gott, ich werde tatsächlich diesen Berg hinunterfliegen! Wenn ich gelandet bin und nach oben zurückblicke oder wenn ich mir, wie hier beim IMS, ein Video auf einer großen Leinwand ansehe, denke ich: „Wow, bin ich das? War ich das wirklich?“ Ich meine es ernst, hier wird ein Traum Wirklichkeit.

Alexander Polli: Ein Traum wird Wirklichkeit

Ist es dein Ziel, immer näher und näher an den Felsen heranzufliegen?

Nein, ganz und gar nicht. Es ist gut, nahe heranzufliegen, weil du dann einen guten visuellen Eindruck davon hast, wie schnell du fliegst. Mein Ziel ist eher, eine Aufgabe zu meistern. Ich treffe mich mit Freunden und wir klettern auf diese großen Klippen, von denen manchmal noch niemand vorher gesprungen ist oder zumindest von denen ich noch nicht gesprungen bin. Ich bin wirklich kein Kletterer. Die Aufgabe, da hoch zu kommen, dieses bisschen Kletterei, über das die Leute hier beim IMS eher lachen würden, ist für mich erschreckend, Furcht einflößend. Das macht mir viel mehr Angst als der Sprung, wenn ich endlich mit meinem Fallschirm an der Kante stehe. Dann fühle ich mich sicher. Es ist der Aufstieg, der angsteinflößend und gefährlich ist.

Aber es gab viele Diskussionen, weil in letzter Zeit so viele Springer tödlich abgestürzt sind. Viele deiner Kameraden sind gestorben. Was antwortest du diesen Kritikern?

Meine Antwort lautet: Es ist ein sehr neuer Sport. Unser Wissen darüber, wie die Wingsuits fliegen, ist noch sehr begrenzt. Wenn jemand mit etwas mehr Erfahrung einem anderen mit weniger Erfahrung das Springen beibringt, hat es ein bisschen von: „Halte den Finger in den Wind und lass uns sehen, wie es funktioniert!“ Es gibt dazu noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Diese Wingsuits sind gerade einmal vor acht Jahren herausgekommen.

Alexander Polli: Unser Wissen ist sehr begrenzt

Ich fühle mich geehrt, dass ich einige dieser Menschen treffen durfte, die jetzt nicht mehr unter uns sind. Ich glaube, einige von ihnen hatten einfach Pech. Alle diese Wingsuit-Springer waren nicht unbedingt Gleitschirm-Flieger. Wir verstehen nicht wirklich etwas von Thermik und so weiter. Aber je mehr ich in diesen Sport eintauche, desto mehr wird mir klar, dass die thermischen Bedingungen eine ganze Menge mit dem zu tun haben, was wir mit unseren Wingsuits machen. Wenn warme Winde vom Berg fallen, kannst du in der Regel fliegen. Liegt der Berg im Schatten, solltest du es in der Regel sein lassen. Aber möglicherweise machst du dir überhaupt keine Gedanken über diese Dinge, bevor du springst. Ich denke also, weil unser Sport so neu ist, ist unser Wissen darüber einfach sehr begrenzt.

Deine Videos sind sehr spektakulär. Millionen junger Menschen sehen sie sich an. Glaubst du nicht, dass du ihnen gegenüber auch eine Verantwortung trägst? Vielleicht denken sie ja „Wow, das möchte ich auch machen!“, obwohl ihnen eigentlich das Können dafür fehlt.

Indirekt ja. Ich würde gerne nein sagen, weil Verantwortung in diesem Zusammenhang ein bedeutungsschweres Wort ist und ich mir damit eine ganz schön harte Sache auf den Teller lege. Aber ja, möglicherweise habe ich den einen oder anderen inspiriert, eines Tages einen Sprung mit dem Wingsuit zu machen, der es gelassen hätte, wenn er mein Video nicht gesehen hätte. Deshalb wird es in diesem Jahr von mir auch kein Video mehr geben, auf dem man wie im letzten Jahr einen Höhlensprung oder einen Menschen nur fliegen sieht. Auf meinen nächsten Videos werde ich zu den Springern über die mentale Seite sprechen – und über bestimmte Regeln. Wenn du diese Regeln einhältst, sie verinnerlichst, nach dem Motto „Okay, wenn ich mit einem Wingsuit springe, werde ich immer dies und niemals das tun“, dann kannst du es meiner Meinung nach nicht nur einmal, sondern beliebig oft machen.

Alexander Polli: Ich fühle mich indirekt verantwortlich

Wäre das besser als Verbote?

Natürlich, weil es fast unmöglich ist, so etwas mit Verboten zu regeln. Sollen wir jetzt am Absprungort auf dem Berg einen Kontrollposten für die Sicherheit einrichten? „Ja, du kannst springen! Nein, du darfst nicht!“ (lacht)

Diese Sprünge sind deine Leidenschaft. Glaubst du, dass sie eines Tages enden wird?

Ganz ehrlich, meine Leidenschaft gilt einer großen Menge von Abenteuern. Ich bin schon so viel gesprungen und geflogen, dass ich jetzt auch mal gerne mehr klettern gehen würde. Das Klettern fasziniert mich. Ich fühle mich von diesen Leuten in den großen Wänden wirklich herausgefordert, inspiriert, in Erstaunen versetzt. Was die anstellen, ist doch im Vergleich zu dem, was ich mache, total verrückt (lacht). Ich würde das wirklich gerne besser können.  Auch Surfen, Wildwasser-Rafting oder Trekking über große Entfernungen. Es gibt viele andere Abenteuer, für die ich mich auch erwärmen könnte.

Datum

12. November 2013 | 17:37

Teilen