Schüttelkur
Jetzt weiß ich, wie sich der Martini von James Bond fühlt: Geschüttelt, nicht gerührt! Mein Mageninhalt hat sich in einen schlechten Cocktail verwandelt. Seit etwa drei Stunden holpern wir mit unserem Kleinbus über eine Straße, die keine ist, weil sie sich erst im Bau befindet. Ein Schlagloch nach dem anderen sorgt für einen Schlag nach dem anderen in die Magengrube. Wir flüchten uns in Galgenhumor. „Hier gibt es so viele Friedhöfe“, sagt Ursula, als wir wieder einmal einen solchen passieren. „Wahrscheinlich sterben die hier alle so früh.“ Ich ergänze: „Ja, den Schütteltod.“ Dabei hat Shenia, eine Mitarbeiterin der lokalen Trekking-Agentur in Bischkek, doch vor der Abfahrt noch gesagt: „Die Straße bis Tash Rabat ist eigentlich ganz in Ordnung.“
Zwischen Luxusauto und Gebäck-Verkauf
Anfangs halten wir das glatt für eine Untertreibung. Auf dem ersten Drittel der 490 Kilometer langen Strecke von der kirgisischen Hauptstadt bis zu unserem Etappenziel präsentiert sich die Straße in einem nahezu perfekten Zustand. „Ich wäre froh, wenn wir solche Straßen bei uns in Köln hätten“, bemerke ich noch. Wir machen Rast an einem kleinen Obst- und Gemüsemarkt. Eine Gebäck-Verkäuferin spricht uns in gutem Englisch an. Woher wir kommen, wohin wir wollen, welchen Beruf wir haben. Ich frage sie, wo sie die Sprache gelernt hat. „Ich habe in Bischkek Englisch studiert, unterrichte hier auch Kinder, kann davon aber nicht leben“, antwortet die junge Frau. Während der jetzt laufenden Sommerurlaubs-Saison verdiene sie drei Monate lang für sich und ihre beiden Töchter Geld mit dem Verkauf ihrer Backwaren. Welch ein Kontrast zur Hauptstadt, die gerade mal zwei Stunden hinter uns liegt! Deutsche Autos der gehobenen Preisklasse gehören dort zum Straßenbild. „Hier fahren Leute Karossen, die 60.000 Euro kosten“, erzählt Shenia. „Autos sind ein Statussymbol. Dabei ist Kirgistan eigentlich ein armes Land.“
Gemüse und Tiere im Garten
Shenia spricht ausgezeichnet Deutsch. Ein Jahr lang hat sie als Au Pair in der Pfalz gelebt. Jetzt kommen ihr die Sprachkenntnisse aus Deutschland zugute, wenn sie Bergsteiger und andere Touristen durch ihr Heimatland begleitet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe Kirgistan zwar die Freiheit gewonnen, sagt Shenia. „Aber wirtschaftlich haben wir fast bei Null angefangen und arbeiten uns jetzt erst langsam hoch.“ Von den fünf Millionen Kirgisen leben mehr als eine Million in Bischkek. Hier gibt es Arbeitsplätze, auf dem Land sind sie dagegen Mangelware.
Mittags essen wir in einem kleinen Dorf, bei einer Familie, die einen „Tante-Emma-Laden“ betreibt und im Innenhof für uns einen langen Tisch mit allerhand Köstlichkeiten vorbereitet hat. Die meisten Zutaten wachsen im großen Gemüsegarten hinter dem Haus. Dort laufen auch ein paar Hühner herum, in einem Stall blöken Schafe. „Jeder versucht, das anzubauen, was er zum Leben braucht oder aber Vieh zu halten“, erklärt Shenia. Diese Familie macht beides, hat es also schon zu bescheidenem Wohlstand gebracht.
Im Schnitt Recht gehabt
Je weiter wir uns von der Hauptstadt entfernen, desto karger wird die Landschaft. Die kleinen Ortschaften werden durch vereinzelte Ansammlungen runder Nomadenzelte, so genannter „Jurten“, abgelöst. Ab und zu treffen wir auf Reiter, die eine Herde Kühe oder Pferde auf der Straße vor sich her treiben. Plötzlich endet der Asphalt. Eine neue Passstraße wird gebaut, die Route ist schon bis ganz hinauf auf eine Höhe von 3000 Meter planiert. Mehr oder weniger jedenfalls. Schlaglöcher gibt es noch reichlich. Anatoli, der unseren Bus steuert, kann nicht mehr schneller als 20 bis 30 Stundenkilometer fahren. Trotzdem werden wir nach rechts und links geschleudert oder hopsen Richtung Decke. Nach rund drei Stunden endet unsere Rüttelkur genauso abrupt wie sie begonnen hat. Auf dem letzten Drittel der Strecke nach Tash Rabat ist die Straße wieder so perfekt wie zu Beginn der Etappe. Nur sehr langsam beruhigt sich mein Magen. Ich erinnere an Shenias Prognose, die Straße sei „eigentlich in Ordnung“. Eigentlich! Das hätte uns zu denken geben sollen. „Am Anfang und Ende war die Straße ja gut, nur in der Mitte schlecht“, bilanziert Eva-Maria lächelnd. „Also hatte Shenia doch im Durchschnitt recht.“
Im Schnitt ziemlich gerädert, erreichen wir endlich nach zehn Stunden eine Ansammlung einiger Jurten nahe der alten Karawanserei Tash Rabat auf knapp 3000 Metern. In diesem abgelegenen Zeltlager und auf den Bergen ringsherum werden wir uns jetzt zwei Tage lang akklimatisieren. Bevor wir uns dann wieder durchschütteln lassen. Richtung China.
P.S. Sorry, ich war gestern zu müde, um noch das Satellitensystem in Gang zu setzen. Deshalb mit etwas Verspätung. 😉