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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Dawa Gyaljen Sherpa: „Kalter Krieg“

Dawa Gyaljen Sherpa

Dawa Gyaljen Sherpa

Er war einer der Ersten vor Ort. Nach der tödlichen Lawine im Khumbu-Eisbruch am 18. April 2014 eilte Dawa Gyaljen Sherpa von Lager 2 nach unten, um den verschütteten Bergsteigern zu helfen. „Als wir an der Unglücksstelle eintrafen, fanden wir Leichen, überall war Blut. Mehrere Leichen hingen an einem Seil in einer Gletscherspalte“, schrieb mir der 28 Jahre alte Sherpa im vergangenen Jahr. „Als wir das Seil hochzogen, bargen wir einen Körper nach dem anderen. Einige Leichen steckten kopfüber im Schnee, wir sahen nur die Stiefel.“ 16 Nepalesen kamen bei dem schlimmsten Lawinenunglück in der Geschichte des Mount Everest ums Leben. Zwei Wochen später war das Basislager leer, die Saison beendet.

Dawa Gyaljen Sherpa hat den Everest viermal bestiegen – zum ersten Mal, als er 19 Jahre alt war. Später studierte er in Großbritannien, heute lebt er in Kathmandu. Ich habe Dawa per Email gefragt, was er über die kommende Frühjahrssaison am Everest denkt. Er antwortete sehr offen. Die Sicht eines Sherpas, ein interessanter Einblick.

Dawa, wirst du in diesem Frühjahr wieder zum Everest zurückkehren?

Ja, ich würde schon gerne, aber mein Kunde hat es bisher noch nicht bestätigt.

Was erwartest du von der neuen Saison?

Ich denke, in diesem Jahr wird alles wieder ganz normal sein, so wie in zahlreichen Jahren zuvor.

Everest-Basislager auf der Südseite

Everest-Basislager auf der Südseite

Gibt es in der Gemeinschaft der Sherpas Bedenken aufgrund der letztjährigen Ereignisse auf der nepalesischen Seite des Mount Everest?

Bisher gibt es kein Gerede darüber. Die meisten Sherpas sind für die kommende Saison gebucht. Und die guten und starken Sherpas sind sehr gefragt. Darüber hinaus erhalten die Familien der Lawinenopfer Hilfe und Geldspenden.

Es wird eine neue Routenführung durch den Khumbu-Eisbruch geben, etwas mehr zur Mitte hin. Wie findest du das?

Ich denke, der Weg durch die Mitte ist sicherer als jener auf der Seite, wenn man Eislawinen vom Lho La (Anm. Pass an der Grenze zu Tibet, die niedrigste Stelle des Everest-Westgrats) und der Nuptse-Wand aus dem Weg gehen will. Aber es hängt von der Struktur des Eisbruchs ab. Meiner Meinung nach können wir gar nichts garantieren, ehe wir nicht wirklich dort sind. Im vergangenen Jahr traf die Lawine den so genannten  „Fußballplatz“, das „ Popcorn-Feld“ (Anm.: Abschnitte im Khumbu-Eisbruch), von dem es vorher hieß, es sei ein so sicherer Ort, dass die Bergsteiger dort eine Tee-Pause machten. Ich glaube nicht, dass die Bergführer einen Bogen um den „Fußballplatz“ machen können, wenn sie die Route festlegen.

Denkst du, dass genug getan wurde, um Konflikte zwischen einigen Sherpas und westlichen Bergsteigern zu vermeiden, wie sie im letzten Jahr ausbrachen und zum vorzeitigen Ende der Saison führten?

Ich bin traurig über die Vorfälle 2013 und 2014, die unserer Sherpa-Gemeinschaft ein schlechtes Image in den Augen der westlichen Bergsteiger eingetragen haben. Die Ereignisse des letzten Jahres waren nicht vorhersehbar. Damit wir in diesem Jahr das Image wieder aufpolieren können, benötigen wir ein ruhiges Umfeld. Da sind die westlichen und die nepalesischen Bergführer gefragt. Wenn sie im Team zusammenarbeiten, wird es ein gutes Umfeld geben.

Dawa am Lobuche Peak

Dawa am Lobuche Peak

Was ist mit den Sherpas, die im vergangenen Jahr die Rädelsführer waren? Erwartest du, dass sie auch in diesem Jahr die Stimmung im Basislager anheizen?

Ich kann nicht vorhersagen, was passieren wird. Im vergangenen Jahr war es eine wirklich verkorkste Situation. Jemand musste die Führungsrolle übernehmen, damit sie unter Kontrolle blieb. Ich gebe den Anführern des vergangenen Jahres keine Schuld, weil sie es taten, um die Lage zu kontrollieren. Wären sie nicht da gewesen, hätte es zum Allerschlimmsten kommen können.

Es kann jedoch kein Argument für das geben, was letztes Jahr passiert ist. Mir tun die unschuldigen Bergsteiger leid, die eine riesige Summe Geld bezahlen, um ihr Ziel zu erreichen. Es gibt einen harten Wettbewerb im Geschäft rund um das Bergsteigen: zwischen westlichen und lokalen Unternehmen, zwischen westlichen und lokalen Bergführern. Da wird einfach ein Kalter Krieg geführt. Ich schreibe das, nachdem ich die Blogs in den Sozialen Medien gelesen habe.

Glaubst du, dass alle beteiligten Parteien am Everest bereit sind, ihre Haltung zu ändern?

Soweit ich das einschätzen kann, haben viele Sherpas begriffen, wie wichtig der Everest und der Tourismus für ihr Leben sind. Ich denke, in diesem Jahr wird viel über verantwortungsvollen Tourismus gesprochen werden. Was ich bereits zuvor mit meiner Äußerung zum Kalten Krieg ausdrücken wollte: So lange nicht verhandelt wird, ist es wahrscheinlich, dass es zu Konflikten kommt.

Datum

25. Februar 2015 | 18:20

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