Vor 40 Jahren: Erstmals durch die Everest-Südwestwand
„Alles ist bereits vor 40 Jahren gesagt worden. Nichts hat sich geändert.“ Doug Scott gab sich schmallippig, als ich ihn im vergangenen Frühjahr nach der britischen Everest-Südwestwand-Expedition 1975 fragte. Am 24. September, heute vor genau 40 Jahren, erreichten Doug und sein Teamgefährte Dougal Haston den Gipfel des Mount Everest, nachdem sie als erste die mehr als 2000 Meter hohe, extrem schwierige Felswand durchklettert hatten. Nach ihrem Gipfelerfolg überlebten Scott und Haston ein Biwak auf 8760 Metern. Ihre erstmalige Durchsteigung der Südwestwand war ein Meilenstein im Himalaya-Bergsteigen, eines der „letzten großen Probleme“ nun gelöst. Zuvor waren fünf Expeditionen gescheitert, darunter auch eine britische im Jahr 1972.
Herausragende Kletterer
Diese Expedition wurde ebenso wie die erfolgreiche drei Jahre später vom legendären Chris Bonington geleitet. „Auf eine gewisse Weise war diese Expedition mein Baby“, erzählte mir Chris im vergangenen Frühjahr. „Es war meine Vision und mein Konzept. Dann stellte ich die Gruppe der herausragenden Kletterer zusammen, die das Projekt schließlich vollendete.“ Das Team setzte sich vor allem aus Bergsteigern der britischen Expeditionen 1970 zur Annapurna-Südwand und 1972 zur Everest-Südwestwand zusammen. Neben Scott und Haston gehörten auch so exzellente Bergsteiger wie Mick Burke, Nick Estcourt, Peter Boardman und Paul (“Tut”) Braithwate dazu. „Für mich stand von Anfang an der Erfolg der Expedition im Vordergrund, nicht der Gipfelerfolg. Und ich wollte einen Erfolg in harmonischer Atmosphäre“, sagte der mittlerweile 81 Jahre alte Bonington. „Aus diesem Blickwinkel war es wirklich eine wundervolle Expedition. Der einzige sehr ernste Schatten, der über ihr lag, war die Tatsache, dass wir beim zweiten Versuch Mick Burke verloren.“ Er verschwand während des zweiten Gipfelvorstoßes der Expedition. Burke wurde zuletzt wenige hundert Meter vom höchsten Punkt lebend gesehen.
„Auch ohne Atemmaske möglich“
Der Erfolg in der Südwestwand war perfektes Teamwork. Scott und Haston vollendeten das Werk. “Wir machten es damals fast so, wie die Nordwand des Eiger erstmals bestiegen wurde“, sagte Chris Bonington. „Wir fanden den einfachsten Weg, beinahe in Serpentinen den Berg hinauf. Es war die „einzig mögliche Linie, die natürliche Linie“, vertraute mir Doug Scott schließlich doch noch im vergangenen April an. Er und Haston hatten bei ihrem Aufstieg Atemmasken benutzt. “Als ich auf 8700 Metern ohne Flaschensauerstoff biwakierte, wusste ich, dass es auch ohne möglich gewesen wäre“, sagte Scott, inzwischen 74 Jahre alt. Nach 1975 gab es nur einige wenige von Erfolg gekrönte Versuche, die Everest-Südwestwand zu durchsteigen. „Die offensichtliche Herausforderung, die bisher noch niemand gewagt hat, ist eine Direttissima“, sagte mir Chris Bonington. „Sie führt direkt durch die Mitte des Felsbandes auf den Gipfel.“ Ein weiteres „letztes Problem“.