Mingma Sherpa: „Am Ende entscheidet der Preis“
Die bevorstehende Frühjahrssaison am Mount Everest wirft ihre Schatten voraus. Zehn „Icefall Doctors“ wurden zum Basislager auf der nepalesischen Seite des höchsten Bergs der Erde geschickt, um die Route für die kommerziellen Expeditionen vorzubereiten. In den vergangenen beiden Jahren hatte es keine Gipfelerfolge von Süden aus gegeben (Ich ignoriere hierbei ganz bewusst den „Erfolg“ der Chinesin Wang Jing und ihrer Sherpas, die sich 2014 mit dem Hubschrauber nach Lager 2 hatten fliegen lassen). 2014 war die Frühjahrssaison vorzeitig zu Ende gegangen, nachdem bei einer Eislawine im Khumbu-Eisbruch 16 nepalesische Bergsteiger ums Leben gekommen waren. 2015 hatte das verheerende Erdbeben am 25 April eine mächtige Lawine am Pumori ausgelöst, die das Everest-Basislager getroffen und 19 Menschen getötet hatte.
Am Montag hat das nepalesische Kabinett – endlich! – grünes Licht dafür gegeben, dass die Besteigungsgenehmigungen (Permits) von 2015 zwei weitere Jahre gültig bleiben. „Das ist ein begrüßenswerter Schritt der Regierung“, sagte Ang Tshering Sherpa, Präsident des nepalesischen Bergsteiger-Verbands NMA. „Wir hoffen, dass er dabei hilft, die Bergsteiger wieder auf die Berge zu bringen.“ Für viele der rund 800 Bergsteiger mit 2015er Permits, darunter 357 Everest-Asprianten, dürfte die Entscheidung jedoch zu spät kommen, um schon in diesem Frühjahr nach Nepal zurückzukehren.
Ich habe Mingma Gyalje Sherpa zur bevorstehenden Saison befragt. Der 29-Jährige, der schon sieben Achttausender bestiegen hat und kürzlich mit seinem Solo in der Westwand des 6685 Meter hohen Chobutse für Schlagzeilen gesorgt hatte, ist Chef von Dreamers Destination, eines in Kathmandu ansässigen Veranstalters von Expeditionen und Trekkingreisen.
Mingma, die Frühlingssaison steht vor der Tür. Was erwartest du, speziell am Mount Everest?
Ich denke, es werden wieder etwa so viele Teams am Berg sein wie zuvor, sie werden jedoch kleiner sein. Ich bin froh, dass der Everest in diesem Jahr weniger überlaufen sein wird. Es wird sicherer sein, und die Bergsteiger werden in diesem Jahr mehr Spaß haben. Es ist gut, dass es weniger Staus am Hillary Step, an der Lhotse-Flanke und im Khumbu-Eisfall geben wird.
Dein Unternehmen Dreamers Destination bietet eine von dir geleitete Expedition auf der nepalesischen Seite des Everest an. Hast du als Folge der Ereignisse von 2014 und 2015 eine niedrigere Nachfrage festgestellt?
Klar haben sich die Zwischenfälle 2014 und 2015 auf den Everest ausgewirkt, das liegt in der Natur der Sache. Aber ich glaube nicht, dass sie einen so großen Einfluss hatten. Wir hatten schon im vergangenen Herbst eine gute Zahl an Kunden und haben einen ordentlichen Umsatz gemacht. Und wir haben auch in diesem Frühjahr ausreichend Bergsteiger für den Everest und den Lhotse.
Die Blockade (im Grenzgebiet zu Nepal) hat die Nachfrage nach Nepalreisen viel mehr gedrückt. Die meisten meiner ausländischen Freunde machen sich Sorgen wegen der Blockade, die fünf Monate lang andauerte. Sie wollen weder Geld noch Zeit verschwenden, indem sie in einer solchen Situation Nepal besuchen. Doch jetzt ist die Blockade vorbei, die Lage bessert sich. Deshalb dürfen wir auf eine zufriedenstellende Zahl an Touristen in der Herbstsaison hoffen, aber noch nicht in diesem Frühjahr.
Wie ist die Stimmung unter den Sherpas? Depressiv, optimistisch oder irgendwo dazwischen?
Wegen der Unglücke 2014 und 2015 haben einige Sherpa-Bergsteiger ihren Job erst einmal an den Nagel gehängt, weil sie Druck von ihren Familien bekamen. Aber die Mehrheit hofft auf eine ausreichende Zahl an Touristen und darauf, für sie zu arbeiten.
Wie so oft, sorgte das zögerliche Verhalten der nepalesischen Regierung wieder einmal für Verunsicherung. Die Entscheidung über die Verlängerung der Permits von 2015 kam spät, die vorgeschlagenen neuen Bergsteiger-Regeln für den Everest stehen weiterhin aus. Bereitet euch Expeditionsveranstaltern dieses schläfrige Verhalten der Regierung Probleme?
Ja, definitiv. Wir stehen nur noch ein paar Wochen vor Beginn der Frühjahrssaison, und bis gestern gab es noch keine endgültige Entscheidung über die Verlängerung der Permits. Jetzt liegt sie vor. Es ist eine gute Entscheidung für die Bergsteiger und auch für das Überleben der Tourismusbranche in Nepal. Die neuen Bergsteiger-Regeln erwarten wir nicht in näherer Zukunft.
Einige westliche Veranstalter haben entschieden, sich vom Everest zurückzuziehen. Sie begründen ihren Schritt damit, dass sie nicht mit den Dumpingpreisen nepalesischer Veranstalter mithalten könnten. Wie siehst du das?
Es ist wahr, dass der Preiskampf mit den nepalesischen Veranstaltern die Sache nicht leicht macht. Es gibt nur einige wenige nepalesische Unternehmen, die einen besseren Service bieten als westliche Veranstalter. Aber es gibt deutlich mehr nepalesische Unternehmen, die nur darauf aus sind, den Preis zu drücken, um immer mehr Kunden anzulocken. Und diese Veranstalter sind auch dafür verantwortlich, dass es mehr Unfälle gibt. Aber diese Veranstalter werden nicht lange überleben.
Ich glaube, dass westliche Unternehmen in der Regel verlässlicher und verantwortungsbewusster sind, was die angebotenen Dienste und die Zusagen an die Kunden betrifft.
Den Wettbewerb gibt es übrigens nicht nur mit westlichen Unternehmen, sondern auch zwischen den verschiedenen nepalesischen Veranstaltern. Ich denke, wir gehören zu denen, die einen guten Service bieten. Wir versuchen, die Erwartungen der Kunden nicht zu enttäuschen. Auch für uns ist sehr schwer, gegen die Billiganbieter zu bestehen. Aber es gibt das alte Sprichwort „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“. Und so finden sowohl die Billiganbieter als auch wir und die westlichen Veranstalter Kunden, die jeweils zu ihnen passen. Ich habe das Gefühl, dass die Bergsteiger eher den westlichen als den nepalesischen Veranstaltern vertrauen, aber am Ende entscheidet der Preis. Doch es gibt auch immer mehr Touristen, für die ihre Sicherheit wichtiger ist als der Preis.
Die erwähnten westlichen Veranstalter beschuldigen die nepalesischen Konkurrenten auch, einheimisches Personal aus ärmeren Regionen Nepals anzuheuern und sie schlecht zu bezahlen. Ist das wahr?
50/50. Ja, es gibt viele Unternehmen, die schlechte Löhne zahlen, doch es hängt auch von der Qualifikation des Personals ab. Ich habe Freunde mit einem Bergführer-Zertifikaten der UIAGM (Internationale Vereinigung der Berführerverbände). Sie berechnen 15.000 US Dollar für Everest-Expeditionen, das ist mehr, als westliche Führer verlangen. Auf der anderen Seite gibt es mittlerweile lokale Bergführer, die nur 85.000 nepalesische Rupien (etwa 800 Dollar) fordern.
Es liegt also in den Händen der Kunden. Je mehr sie an nepalesische oder westliche Veranstalter bezahlen, desto wahrscheinlicher erhalten sie gute und erfahrene Sherpas. Je weniger sie zahlen, desto wahrscheinlicher bekommen sie unprofessionelles Personal, das sie in Schwierigkeiten bringen wird.
Vor zwei Monaten hast du mir gesagt, dass 2016 über die Zukunft des Bergtourismus in Nepal entscheiden würde. Wie ist dein Gefühl jetzt?
2016 wird ein sehr schwieriges Jahr für Nepal. Ganz sicher werden in dieser Frühjahrssaison weniger Touristen ins Land kommen. Für die Herbstsaison bin ich zuversichtlicher. Wenn die Zahl der Touristen im Herbst jedoch ebenfalls zurückgehen sollte, sehe ich auf Jahre hinaus schwarz für die Tourismusbranche in Nepal.