Schnapp-Expedition
Die Welt neigt zur Schnappatmung. Sie bewegt sich irgendwo zwischen Snapchat, Schnappschuss und 140 Zeichen Twitter-Botschaft – und springt auf jeden Zug, Hauptsache, er fährt. Auf der Strecke bleibt die Muße. Eines nicht allzu fernen Tages werden wir uns wahrscheinlich auch fragen, wie es überhaupt sein konnte, dass Achttausender-Expeditionen einmal zwei Monate lang dauerten. Die US-Bergsteiger Adrian Ballinger und Emily Harrington haben ihr Ziel erreicht: Nur zwei Wochen, nachdem sie von ihrem Haus am Lake Tahoe in Kalifornien aufgebrochen waren, schlossen sie dort wieder die Haustür auf – im Gepäck eine erfolgreiche Besteigung des Achttausenders Cho Oyu. Neun Tage nach ihrer Abreise standen Adrian und Emily auf dem 8188 Meter hohen Gipfel in Tibet. Anschließend fuhren sie mit Skiern ab, und dann nichts wie ab nach Hause.
Lagerkoller und Kraftverlust
„Monatelang in einem kleinen gelben Zelt in oder oberhalb von 18.000 Fuß (knapp 5500 Meter) zu leben, mag für jene, die es noch nicht gemacht haben, abenteuerlich klingen“, sagte Harrington in einem Interview der Zeitschrift „Vogue“. „Aber es kann schon ziemlich einsam werden, und du entwickelst nach einer Weile eine Art Lagerkoller.“ Dazu komme der Verlust von Gewicht und Muskelmasse. Nach früheren Himalaya-Expeditionen, so die 30-Jährige, habe sie ein halbes Jahr gebraucht, um wieder auf dem gleichen Niveau felsklettern zu können wie vorher. „Ich hoffe, dass dieser Trip nicht so viel Schaden anrichtet.“
Praktikable Länge
Ihr Lebensgefährte Adrian Ballinger, Chef des Veranstalters Alpenglow Expeditions, weist im selben Interview darauf hin, dass er seit 1997 regelmäßig sieben bis acht Monate pro Jahr in „gelben Zelten“ gelebt habe. „Ich habe diese epischen, sprich langen Expeditionen geliebt“, sagte der 40-Jährige der „Vogue“. „Aber nun möchte ich alles, was ich gelernt habe, nutzen, um Himalaya-Expeditionen auf eine praktikablere Länge zu verkürzen.“ Alpenglow bietet schon jetzt Achttausender-Expeditionen an, die nur einen Monat dauern.
Auf präparierter Piste, mit Atemmaske
Der erfolgreiche Zwei-Wochen-Trip zum Cho Oyu und zurück war eine gelungene Werbung für diese so genannten „Rapid Ascent Expeditions“: Die Teilnehmer gewöhnen sich noch in der Heimat in Hypoxie-Zelten an die dünne Luft, um Zeit für die aufwändige Akklimatisation vor Ort einzusparen, und reisen erst an, wenn der Berg schon mit Fixseilen präpariert ist. So stiegen auch Ballinger und Harrington am Cho Oyu über die bereits vorbereitete Route auf – mit Sherpa-Unterstützung und ab Lager 2 auf 7200 Metern mit Flaschen-Sauerstoff. „Aber wir haben immer noch eine riesige Menge Ausrüstung mit uns geschleppt“, sagt Adrian. „Jeder Tag war brutal, aber wir wussten, dass wir uns nur vier Tage auf einem wirklich hohen Niveau abrackern mussten.“ Eine erfolgreiche „Schnapp-Expedition“, bestens geeignet für Snapchat, Schnappschüsse und Twitter. Das Modell für die Zukunft? Schimpft mich altmodisch, aber ich bevorzuge den langen Atem in kleinen gelben Zelten.