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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Am kurzen Seil?

Ballinger am Gipfel des Mount Everest

Dass Adrian Ballinger am vergangenen Samstag den Gipfel des Mount Everest ohne Flaschensauerstoff erreicht hat, ist unstrittig. Doch über das „Wie“ ist eine Debatte entbrannt. Auslöser war mein Artikel über ein Gespräch mit Ralf Dujmovits am Montag, zwei Tage nach seinem auf der Everest-Nordseite in einer Höhe von  8580 Metern gescheiterten Versuch ohne Atemmaske. Darin hatte der 55 Jahre alte deutsche Bergsteiger dem US-Amerikaner Ballinger vorgeworfen, zwar in Echtzeit in den sozialen Netzwerken über den Aufstieg berichtet, einige Fakten aber verschwiegen zu haben. So sei Adrian beim Abstieg von einem ecuadorianischen Bergführer am kurzen Seil geführt worden. Das Ballinger-Lager reagierte prompt.

Richards: „Adrian hat sich jeden Schritt erarbeitet“

Gipfel des Mount Everest (vom Nordostgrat aus gesehen)

„Ich bin mit ihm den ganzen Weg vom Basislager aus hinauf- und herabgestiegen, und ich kann sagen, dass er während des Abstiegs niemals am kurzen Seil war, wie Ralf fälschlicherweise behauptet“, schrieb Esteban, genannt „Topo“, Mena, besagter Bergführer aus Ecuador, der für Adrian Ballingers Unternehmen Alpenglow Expeditions arbeitet. „Diese Information ist nicht korrekt und sollte sofort korrigiert werden.“ Und auch Cory Richards – der Ballinger bis zum höchsten Punkt begleitet und im Gipfelbereich Flaschensauerstoff verwendet hatte, weil er sich nicht gut fühlte – widersprach Dujmovits: „Topo war da. Seine Worte werden von (den Sherpas) Pasang und Palden bestätigt. Ralf war ganz einfach nicht da.“ Dujmovits‘ Vorwurf, Ballinger sei bei seinem Auf- und Abstieg von einem großen Team unterstützt worden, sei „offen gesagt, dämlich“, fuhr Richards fort: „Adrian hat sich jeden Schritt seines Gipfelerfolgs erarbeitet.“ Er appellierte an Dujmovits und Ballinger, doch auf das jeweils Erreichte stolz zu sein, anstatt zu streiten. „Es gibt keinen Raum für Machtkämpfe in unserer Sippe, dafür ist sie zu klein.“

Schlagzeilenträchtiges Bild

Wer sich nicht regelmäßig mit dem Geschehen am Everest auseinandersetzt, wird sich vielleicht fragen, was denn so schlimm daran ist, am kurzen Seil zu gehen. In den Alpen etwa praktizieren Seilschaften diese Technik doch auch. Schon, aber am Everest verbindet man damit eben jenes immer wiederkehrende Bild, das seit den 1990er-Jahren regelmäßig für Schlagzeilen sorgt: In technisch eher leichtem Gelände zieht ein Sherpa seinen sichtlich überforderten Kunden am kurzen Seil den Berg hinauf Richtung Gipfel. Die Botschaft ist klar: Der Hintere gehört eigentlich nicht an diesen Berg. Ein guter Bergsteiger, der eigenverantwortlich am Everest unterwegs ist, hat das nicht nötig – es sei denn, er gerät in ernsthafte Not.

Die letzten zehn Minuten zum Gipfel

Ralf Dujmovits am Everest

Ich habe nach den Reaktionen des Ballinger-Lagers noch einmal bei Ralf Dujmovits nachgefragt. Er räumt ein, dass er in Sachen Abstieg am kurzen Seil einer falschen Information aufgesessen sei, bleibt jedoch bei seiner grundsätzlichen Kritik. „Auf genaues, persönliches Nachfragen hin sowohl bei Adrian als auch Cory kann ich dir sagen, dass Adrian von einem der Sherpas (Palden, Mingma, Pasang Rinji) die letzten zehn Minuten zum Gipfel am kurzen Seil geführt wurde. Hierfür gibt es Augenzeugen“, schreibt mir Ralf. „Das hat ebenfalls mit selbstständigem Bergsteigen nichts zu tun. Wenn dem Team Ballinger daran gelegen wäre, sich um eine korrekte Darstellung zu bemühen, wäre dieser Fakt von ihnen aus angesprochen worden.“ Letzteres sei auch der zentrale Punkt seiner Kritik, so Ralf: „Es geht mir darum, dass von Profis, gerade wenn so viel medialer Aufwand getrieben wird, korrekt berichtet wird – Positives, aber auch Negatives –, und dass eben nicht durch Weglassen bewusst ein falsches Bild erzeugt wird.“

Datum

31. Mai 2017 | 21:20

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