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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Wenn das Kopftuch einfach nur stört

Nasim Eshqi

Donald Trump steht zwischen ihr und dem El Capitan. Zu gerne würde Nasim Eshqi auch einmal an den legendären Granitwänden im Yosemite-Nationalpark klettern, doch der US-Präsident hat bekanntlich ein Einreiseverbot für Iraner verfügt. Die 35-Jährige aus Teheran nimmt es mit Humor. „Ich meine, er ist doch der Unglückliche, wenn ich nicht da bin“, sagt Nasim und lacht. Die Kletterin entspricht schon äußerlich so gar nicht dem westlichen Klischee einer iranischen Frau: Schulterfreies T-Shirt, Sonnenbrille, kein Kopftuch. Und sie sagt, was sie denkt. „Die traditionelle Kultur im Iran akzeptiert mich oder andere Mädchen, die so sind wie ich, nicht als echte Frauen, die man heiraten oder mit denen man zusammen sein möchte“, erzählt Nasim. „Aber das war für mich von Beginn an okay. Ich habe überall auf der Welt Freunde, die mich mental unterstützen.“

Einfach weitergemacht

Die Kletterin ist es gewöhnt, mit Ablehnung umzugehen. Selbst ihre weltoffenen Eltern, ein Universitätsprofessor und eine Lehrerin, taten sich schwer mit den Ambitionen ihrer Tochter, die erst als Kickboxerin Erfolge feierte und dann vor 14 Jahren ihr Herz für das Bergsteigen und Klettern entdeckte. „Du verlässt die Stadt, kommst spät nach Hause und deine Eltern fragen dich: ‚Wo bist du gewesen?‘ Sie hatten Angst vor den Gefahren beim Klettern, vor der Polizei oder schlechten Menschen“, erzählt Nasim. „Aber ich habe einfach weitergemacht. Sie mögen immer noch nicht, was ich mache. Aber ich kann es nicht ändern.“

Nasim Eshqi: I have an open family but they don’t like what I do

Gleichheit am Fels

Nasim in Aktion am Polekhab nahe Teheran (Route „Iran-Swiss“, 8a+)

Eshqi geht konsequent ihren Weg, und der führt über den Fels. „Wenn ich irgendwo auf der Welt klettere, fühle ich mich einfach gleich“, beschreibt Nasim ihre Motivation. „Die Regeln sind überall dieselben. Es geht um Gravitation. Egal, wo wir herkommen, welches Geschlecht oder wie viel Geld wir haben. Es zählt nur der Weg und was wir können.“

Nasim Eshqi: Climbing makes me feeling equal

Nasim klettert Routen bis zum zehnten Grad. Etwa die Hälfte des Jahres verbringt sie in ihrem Heimatland Iran, wo sie auch als Kletter-Trainerin arbeitet. Davon leben kann sie nicht. Die restlichen Monate hält sich Nasim im Ausland auf, wo sie sich mit Vorträgen finanziell über Wasser hält. „Was ich verdiene, gebe ich wieder aus. Manchmal muss ich mir auch Geld leihen, um die Flugtickets zu bezahlen.“

Mit Glück und Willen

Reisen in Länder wie Georgien, Armenien oder Türkei seien kein Problem, erzählt Eshqi. Doch für europäische Staaten, die USA oder auch den größten Teil Afrikas benötige sie Einladungen von dort. Und auch die seien keineswegs die Garantie, dass sie anschließend wirklich einreisen dürfe. Mit ein bisschen Stolz verweist Nasim darauf, dass sie schon in mehr Ländern geklettert sei als viele andere aus Staaten ohne Reisebeschränkungen: „Wenn ich Glück habe und es wirklich will, dann passiert es auch irgendwann.“ So kletterte die Iranerin schon an Felsen im Elbsandstein-Gebirge in Ostdeutschland, den italienischen Dolomiten, im Schweizer Rätikon oder in den Bergen rund um Chamonix.

Mehr als 70 neue Routen

Klettern im Iran (hier am Berg Alamkooh)

Dort gibt es keine strengen Kleidungsvorschriften wie in ihrer Heimat. Im Iran ist Nasim verpflichtet, unter dem Kletterhelm ein Kopftuch zu tragen und die Arme bedeckt zu halten. „Ich kann damit leben. Es ist nicht so hart wie keine Visa zu bekommen“, sagt die Kletterin. „Ich bin auf das Klettern fokussiert und möchte meine Leidenschaft mit möglichst vielen Menschen teilen.“ Eshqi hat bereits mehr als 70 neue Routen in mehreren Ländern eröffnet. Die Kletterszene in ihrer Heimat ist noch überschaubar. „Die meisten Kletterer im Iran sind Picknick-Kletterer, die einfach draußen sein und das gute Wetter nutzen wollen. Es gibt im ganzen Land nicht mehr als zehn Kletterer, die wirklich darauf aus sind, ihre Grenzen voranzutreiben“, sagt Nasim.

Zu ungeduldig für Expeditionen

Deutlich populärer als Klettern ist im Iran das Höhenbergsteigen. Doch in dieser Tradition sieht sich die 35-Jährige eher nicht. „Klar würde ich auch gerne einmal den K 2 besteigen, aber ich habe nicht genug Geduld, um für so eine lange Expedition ausreichend zu trainieren. Das ist einfach nicht mein Weg“, sagt Eshqi. „Ich würde die Strapazen eines langen Anmarschs im Himalaya vielleicht auf mich nehmen, wenn am Ende eine Wand steht, die ich klettern will. Das ist eher mein Ding als nur eine Expedition auf 7000 oder 8000 Meter.“

Nasim Eshqi: Not patient enough for long expeditions

Von Feinden zu Fans

Durch Leistung überzeugt (hier in der Route „Man o to“, 7c+, am Baraghan)

Nasim Eshqi sieht Anzeichen dafür, dass sich die iranische Gesellschaft mehr und mehr öffnet – dank Internetnutzung und vermehrter Reisen. Die Feindseligkeit, die ihr anfangs oft entgegenschlug, habe inzwischen abgenommen, sagt die Kletterin.  Grund seien auch die Berichte westlicher Medien über sie. „Wenn die Leute sehen, dass die Europäer Respekt für eine Frau zeigen, die so viel an Energie investiert, um den eigenen Weg zu gehen, sagen sie irgendwann: ‚Oh, sie ist gut. Wenn die Europäer sie respektieren, respektieren wir sie auch.‘ So sind am Ende aus meinen Feinden meine größten Fans geworden. Ich finde, das kann ich als Erfolg für mich verbuchen.“ Vielleicht bittet ja eines Tages auch Donald Trump um ein Autogramm von Nasim Eshqi – wenn er sie am El Capitan hat klettern sehen.

Nasim Eshqi: Enemies turning into fans

Datum

27. Juni 2017 | 14:22

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