Küsse des Himmels
Ich weiß, jeder Regen ist ein Kuss des Himmels. Aber es gibt eben Tage, da will man nicht geküsst werden, jedenfalls nicht von oben. Blöd, dass keiner danach fragt. Heute morgen in Bad Ragaz musste ich mein Zelt schon nass einpacken. Ich startete in Regenkleidung. Immerhin endete die unfreiwillige Dusche nach einer halben Stunde. Ich radelte mit meinem Faltrad lange direkt am Rhein entlang, auf der Deichkrone der rechten Flussseite. So machte ich Stippvisiten in zwei weiteren Ländern, erst Liechtenstein, dann Österreich. Immer wieder fielen ein paar Tropfen, ich konnte mich jedoch nicht dazu durchringen, wieder ins Regenzeug zu schlüpfen.
Am „Alten Rhein“
Im Gegensatz zum Vortag, an dem sich die Landschaft, je weiter ich flussabwärts kam, ständig verändert hatte, empfand ich die Gegend nun ziemlich eintönig. Das lag allerdings vor allem daran, dass die Berge rechts und links in Wolken hingen, ich also nur den Rhein und den schnurgeraden Fahrradweg sah. Auf Höhe des österreichischen Orts Koblach wechselte ich die Flussseite und damit auch das Land. Jetzt fuhr ich wieder auf Schweizer Boden. Gerade als ich unter einer Brücke Pause machte, um einen Apfel zu essen, entlud sich ein Gewitter. Das nennt man Glück. Zudem sorgte der kurze, aber heftige Regenguss dafür, dass es aufklarte und sich erstmals an diesem Tag sogar die Sonne zeigte. Ich genoss nun die Fahrt am „Alten Rhein“ entlang, dort, wo er sich früher in den Bodensee ergossen hatte. Heute ist der bei der Flussbegradigung abgetrennte Teil des alten Flussbetts ein Naturschutzgebiet.
Tolle Radwege
Als ich schließlich den Bodensee erreichte, erblickte ich die nächste Regenfront. Sie steuerte auf mich zu, doch wieder hatte ich Glück. Ich geriet nur in die Ausläufer. Es war eigentlich kaum der Mühe wert, das Regenzeug anzuziehen. Hinterher wurde es wieder sonnig und warm. Aprilwetter im September. Der wunderschöne Radweg entlang des Schweizer Bodensee-Ufers hatte den Sonnenschein verdient. Das muss man den Eidgenossen lassen: In Sachen Qualität der Radwege können sie es fast mit den Niederländern aufnehmen, und ausgeschildert sind sie auch vorbildlich.
Hinter der Gardine
Dann erwischte es mich doch, kurz vor Romanshorn. Diesmal gab es kein Entrinnen. Petrus drehte die Schleusen richtig auf. Ich versuchte, mich davon nicht beeindrucken zu lassen, und radelte in Regenjacke und Hose weiter. In Romanshorn passierte ich einen Bauernhof, der vor der Scheune Äpfel zum Verkauf ausgelegt hatte. Ich fuhr auf den Hof. Der Bauer signalisierte mir vom Fenster aus, dass ich das Geld in die Spardose auf dem Tisch werfen sollte. Bei dem Sauwetter wollte er keinen Fuß vor die Tür setzen. Seine Frau überwachte dann hinter der Gardine, dass der mit Regenkleidung Vermummte auch wirklich bezahlte. Andernfalls hätten sie ihren Gatten wohl doch nach draußen gejagt.
Mein Zelt am See
Nach 20 Minuten waren die Regenwolken abgezogen und die Sonne zeigte sich erneut. Genussradeln war wieder angesagt, wenn man das nach 100 Kilometern in den Beinen noch sagen kann. Mein Zelt steht heute auf einem Campingplatz in Kreuzlingen, direkt am See. Mein Pensum am zweiten Tag meiner Spenden-Radtour „School up! River down!“: 115 Kilometer habe ich geschafft – und bin entsprechend geschafft. Die Regenwahrscheinlichkeit am morgigen Mittwoch ist übrigens laut Prognose leider noch höher als heute. Der Himmel wird mich wieder küssen, ob ich will oder nicht.