Dani Arnold: „Ein bisschen Risiko darf sein“
Wieder einmal ist er eine Wand geradezu hinaufgesprintet. Im August durchkletterte der Schweizer Dani Arnold die Grandes-Jorasses-Nordwand solo und ohne Seilsicherung in der neuen Rekordzeit von 2:04 Stunden. Die Erstbegeher der Route über den Walker-Pfeiler um den Italiener Riccardo Cassin hatten dafür 1938 drei Tage benötigt. Auch in der Matterhorn-Nordwand hält der 34-Jährige seit drei Jahren die Bestzeit: 1:46 Stunden. Für seinen ersten Paukenschlag hatte Dani 2011 gesorgt, als er Ueli Stecks Rekord in der Eiger-Nordwand um 20 Minuten unterboten und den Gipfel nach 2:28 Stunden erreicht hatte. Steck hatte sich die Bestzeit 2015 zurückgeholt (2:22 Stunden).
Dani Arnold ist Bergführer und lebt mit seiner Frau Denise im Kanton Uri im 4000-Seelen-Dorf Bürglen, in dem mehr als 200 Einwohner (kein Witz, er hat es mir gegenüber bestätigt) den Namen Arnold tragen. Ich habe Dani in meiner Heimatstadt Köln getroffen – vor seinem Auftritt als Hauptredner des Kölner-Alpintags.
Dani, wie gefällt dir die Bezeichnung „Usain Bolt der Alpen-Nordwände“?
Ich finde sie ein bisschen übertrieben. Ich bin sicher sehr schnell unterwegs, aber es gibt noch viele andere sehr, sehr gute Bergsteiger. Ich glaube, es stimmt einfach nicht, dass ich der beste bin.
Aber vielleicht der schnellste. Du hältst schließlich an zwei der drei klassischen Nordwände in den Alpen den Geschwindigkeitsrekord. Kommst du, wenn du so schnell kletterst, auch manchmal in einen Rauschzustand, wie etwa beim Laufen, wenn irgendwann ein „Flow“ einsetzt und alles wie von selbst zu gehen scheint?
Ja, so ein Gefühl gibt es schon. Ich fühle mich dann frei und leicht. Wenn zum Beispiel in der Eiger-Nordwand der Wasserfall-Kamin, das brüchige Band und der brüchige Riss kommen, dauert es normalerweise ewig, bis man dort durchgeklettert ist. Wenn man aber solo und auf Geschwindigkeit unterwegs ist, dann folgt einfach eine Stelle nach der anderen. Und man hat dann wirklich auch das Gefühl, es sei schnell.
Du bist im Sommer den Walker-Pfeiler an den Grandes Jorasses in zwei Stunden vier Minuten geklettert, 17 Minuten schneller als der vorherige Rekordinhaber Ueli Steck. Du bist komplett ohne Seil und Sicherung geklettert. Wieviel Risiko darf aus deiner Sicht sein?
Es geht nicht ohne Risiko, das ist ganz klar. Auf der anderen Seite war es mein Ziel, am Walker-Pfeiler auf jedes Sicherungsmaterial zu verzichten. Es sollten einfach nur der Berg und ich sein. Ich musste erst einmal herausfinden: Traue ich mich überhaupt? Ist es noch sicher? Ich habe mich dann für den Weg entschieden. Und ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich ein Riesen-Risiko eingegangen bin. Ich glaube, man kann nicht pauschal sagen, dass weniger Material gleich ein höheres Risiko bedeutet.
Dani Arnold: Weniger Material nicht gleich mehr Risiko
Wie hast du dich vorbereitet? Kanntest du jeden Kletterzug auf dieser Route?
Die Route ist 1200 Meter lang. Ich habe das Talent, dass ich mir sehr gut Stellen und Kletterbewegungen merken kann. Ich weiß zum Beispiel, wie im Rebuffat-Riss, einer der schwierigen Stellen dort, die Griffe aussehen, mit welcher Hand ich welchen Griff klettern muss. Dazu braucht man auch noch eine, ich sage mal, „rollende Planung“ und außerdem sehr viel Selbstvertrauen.
Du hast einmal gesagt, es gebe ein Recht auf Risiko. Wie hast du das gemeint?
Wenn man für etwas lebt, sich seriös darauf vorbereitet und sich dann in einen Gefahrenbereich begibt, wird das von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Das finde ich nicht richtig. Schließlich geht man diese Dinge doch nicht einfach fahrlässig an, aus Unwissenheit oder Dummheit. Wenn man sich wirklich auf etwas vorbereitet und es seriös durchzieht, darf man auch ein bisschen Risiko eingehen, denn es lohnt sich zu hundert Prozent.
Dani Arnold: Das Recht auf Risiko
Wenn man sich deine Speedrekorde ansieht, stößt man immer wieder auf den Namen Ueli Steck, weil es seine Rekorde waren, die du gebrochen hast. Er ist im vergangenen Jahr am Nuptse mit 40 Jahren in den Tod gestürzt. War das für dich Warnung oder Mahnung?
Er hat genau das Gleiche gemacht wie ich jetzt. Und da denkt man natürlich sofort: Hej, das kann mir auch passieren. Ich glaube jeder Unfall – nicht nur von Ueli, sondern auch von anderen Bergsteigern – bleibt im Gehirn drin. Das bedeutet nicht, dass man nun einen komplett anderen Weg geht. Aber ich bin mir trotzdem sicher, dass ich jetzt nicht mehr so viel Risiko eingehe wie noch vor fünf oder zehn Jahren.
Beim Klettern und Bergsteigen auf höchstem Niveau besteht immer die Gefahr, die Schraube eines Tages zu überdrehen. Hast du Schutzmechanismen dagegen?
Die Gefahr, dass man irgendwann einen Schritt zu weit geht, liegt auf der Hand. Das macht mir auch ein bisschen Angst, weil ich natürlich immer versuche, das Optimum zu erreichen und noch ein bisschen mehr. Um gegenzusteuern, gehe ich z.B. fischen oder ich verbringe einfach mal Zeit mit Freunden und Familie, wo wir das Thema Bergsteigen gar nicht ansprechen. Das hilft mir, aktiv ein bisschen davon wegzukommen. Es dreht sich sonst alles ums Bergsteigen und auch um dieses mehr, mehr, mehr. Ich muss dann andere Gedanken haben und es auch mal gut sein lassen.
Dani Arnold: Es auch mal gut sein lassen
In der breiten Öffentlichkeit bist du vor allem wegen deiner Speedaufstiege bekannt. Dabei bist du ja ein kompletter Kletterer. Du gehörst z.B. zu den Wintererstbesteigern des Cerro Egger in Patagonien, du warst mit den Huber-Brüdern auf Expedition im Karakorum. Stört es dich, dass man dich öffentlich häufig auf das Geschwindigkeitsklettern reduziert?
Es stört mich schon ein bisschen. Auf der anderen Seite kann ich durch das Speedklettern jetzt vom Bergsteigen leben, weil es ausreichend Vorträge und Sponsoren gibt. Von daher ist es schon wichtig. Wenn ich an einem Abend einen 90-Minuten-Vortrag halte, nutze ich die Bekanntheit über das Speedklettern, um auch meine Herzensgeschichten zu erzählen, wie zum Beispiel über das Mixed-Klettern in Schottland, diese ganz, ganz schweren Klettereien.
Wirst du in den nächsten Jahren wieder auf große Expeditionen gehen?
Ganz bestimmt. Schwierigkeitstechnisch und auch in Sachen Geschwindigkeit wird es nicht unendlich lange so weitergehen. Da werden dann diese Geschichten an neuen Bergen in unbekannten Regionen aufkommen. Mit den Huber-Brüdern habe ich wirklich zwei Super-Leute gefunden, mit denen ich super gerne unterwegs bin. Das ist mir fast wichtiger, als wenn jemand extrem stark ist. Man muss eine gute Zeit zusammen haben. Und das haben wir.
Wäre auch mal ein Achttausender für dich interessant?
Bestimmt. Bis jetzt hatte ich noch nie ein Bedürfnis, dort hochzusteigen, aber so langsam kommt es. Ich möchte gerne mal erleben, wie es sich anfühlt.
Hast du ein Traumziel, einen Berg, zu dem du unbedingt noch hin willst?
Eigentlich nicht. Die Eiger-Nordwand z.B. war für mich nicht dieses eine große Ziel. Ich habe viele, viele Ideen. Wenn es dann in der Vorbereitung konkreter wird, fokussiert man sich auf einen Berg. Und dann wird dieser plötzlich mein Berg, und es gibt keinen anderen mehr.
Du hast die drei großen Alpen-Nordwände solo und in großer Geschwindigkeit bestiegen, damit hat sich ein Kreis geschlossen – es sei denn, du willst dir den Eiger-Rekord wieder zurückholen. Machst du jetzt einen Haken hinter das Speedklettern?
Mit dem Rekord in der Grandes-Jorasses-Nordwand hat sich das schon ein bisschen erledigt. Mit größter Wahrscheinlichkeit werde ich nicht mehr an den Eiger zurückgehen. Ich möchte mir das Ganze aber offen lassen. Im Moment habe ich tatsächlich kein konkretes Speedprojekt, aber das kann sich bei mir schlagartig ändern. Ich glaube, ich habe damit noch nicht ganz abgeschlossen.
Wann werden wir dich wieder auf großer Expedition erleben?
Im Winter möchte ich Richtung Russland oder China zum Eisklettern aufbrechen. Ich war noch nie im Hochwinter dort. Ich möchte auch die Menschen in diesen extrem kalten Regionen treffen. Das fasziniert mich auch. Es gibt sicher kalte Finger dort! (lacht)
Kannst du auch ganz normal bergsteigen, ohne Hintergedanken an eine krasse Route?
Ja. Es gibt diese Tage, an denen ich keine Ambitionen habe und es einfach nur genießen kann. Ich liebe halt immer noch dieses Draußen-sein.