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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Tamara Lunger: „Ich bin zurzeit suchend“

Tamara Lunger während des IMS

„Ich wünsche mir oft: Wäre ich doch vor hundert Jahren auf die Welt gekommen!“, sagt Tamara Lunger. „Wenn ich die 90-Jährigen reden höre, denke ich mir: Oh, das waren noch Abenteurer! Dagegen sind wir heute nur noch Weicheier.“ Dabei stand die Profibergsteigerin aus Südtirol 2010 mit 23 Jahren als damals jüngste Frau auf dem Gipfel des Achttausenders Lhotse und bestieg 2014 ohne Flaschensauerstoff den K 2, den zweithöchsten Berg der Erde.

Tamara Lunger: Wir sind dagegen doch Weicheier

Während des „International Mountain Summit“ in Brixen wandere ich mit Tamara vom Latzfonserkreuz aus talwärts. Ihre Eltern führen die dortige Schutzhütte. Wir sprechen über Tamaras Abenteuer der vergangenen Jahre. Die 32-Jährige ist eine ehrliche Haut und nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Leute sagen mir: ‚Du hast leicht reden, du kannst das leben, was dir Freude bereitet.‘ Dabei steckt auch in meiner Freude manchmal etwas Negatives, das ich annehmen und daraus lernen muss. Das ist eigentlich das Wichtige.“

Dem Tod nahe

Tamara (2.v.l.) mit den Wintererstbesteigern des Nanga Parbat, Alex Txikon, Simone Moro und Muhammad Ali „Sadpara“(v.l.)

Im Februar 2016 kehrte Tamara Lunger in Pakistan knapp unter dem Gipfel des Nanga Parbat um. Nur 70 Höhenmeter fehlten ihr zum Ruhm, als erste Frau zu den Wintererstbesteigern eines Achttausenders zu gehören. Während des gesamten Gipfeltags war es ihr schlecht gegangen, sie hatte sich den Berg regelrecht hinaufgeschleppt. Dann habe Gott zu ihr gesprochen, erzählt Tamara: „Normalerweise bekomme ich immer, was ich erbitte. Aber an dem Tag hat zehn Stunden Beten nichts geholfen. Da habe ich gewusst, da ist etwas faul.“ Sie drehte um. Im Abstieg geriet sie ins Rutschen. „Es war mein bisher todesnächstes Erlebnis. Auch beim Absturz habe ich mit dem Herrgott geredet: ‚Ich hätte nicht gedacht, dass es jetzt schon so schnell passiert. Aber wenn es so sein muss, bin ich eben bereit, und das passt.‘“ Nach 200 Metern blieb Tamara im lockeren Schnee liegen.

Tamara Lunger: Gespräche mit Gott

Viel gelernt

Sie überlebte, mit Verletzungen an der Schulter und am Sprunggelenk. Sie hatte Schmerzen, durfte keinen Sport treiben. Und die Medien überfielen sie mit Interviewanfragen. Es sei eine „schwierige Zeit“ gewesen, sagt die Bergsteigerin. „Erst mit der Zeit habe ich verstanden, was der Nanga Parbat mir geschenkt hat.“ Sie wisse jetzt, dass es nicht immer der Gipfel sein müsse. „Ich habe auch viel über mich gelernt. Zum Beispiel, wie ich mich in Todesangst verhalte. Werde ich panisch oder bin ich ruhig? Kann ich noch klar denken? Diese Erkenntnisse sind extrem wichtig, weil sie in unserem Beruf oder unserer Berufung zum Spiel mit dazugehören.“

Vielen fehlt der Respekt

Ein starkes Team: Tamara Lunger mit Simone Moro (r.)

Ihre nächste Achttausender-Expedition führte sie im Frühjahr 2017 zum Kangchendzönga, dem dritthöchsten Berg der Erde. Mit ihrem Teampartner und Mentor Simone Moro wollte sie alle Gipfel des Massivs überschreiten. Doch dazu kam es nicht, weil Moros Gesundheit nicht mitspielte. Die Erlebnisse im Basislager, das sich die beiden Profibergsteiger mit den Mitgliedern kommerzieller Expeditionen teilten, verleideten Lunger erst einmal das Achttausender-Bergsteigen. „Unglaublich, was einige Leute da so treiben“, sagt Tamara und schüttelt den Kopf. „Ich habe mich teilweise für sie geschämt. Denen ging es nur darum, irgendwie raufzukommen. Sie haben keinen Respekt mehr, weder vor dem Berg, noch vor den anderen Leuten. In den Hochlagern wird gestohlen.“

Nie mehr ein Basislager mit anderen

Einem Sherpa des nepalesischen Veranstalters „Seven Summit Treks“ sei es oben ziemlich schlecht gegangen, er sei unfähig gewesen abzusteigen. „Dem Chef der Sherpas war das total scheißegal. Er spielte unten lieber mit dem Handy auf Facebook herum anstatt zu helfen.“ Das, so Tamara, verstoße so sehr gegen ihre Prinzipien, dass sie ihre ganze Kraft verliere: „Ich habe mir zu der Zeit geschworen: Nie mehr in ein Basislager mit anderen Leuten! Ich hoffe, ich kann das durchziehen. Künftig gehe ich eben im Winter oder den Berg von einer anderen Seite an, mit einem Basislager, in dem ich meine Ruhe habe.“

Tamara Lunger: Die haben keinen Respekt mehr

Befreiung in der Kälte Ostsibiriens

Bei der Wintererstbesteigung des Gora Pobeda

Im vergangenen Februar gelang Lunger und Moro im eiskalten Osten Sibiriens bei Temperaturen um minus 50 Grad Celsius die erste Winterbesteigung des 3003 Meter hohen Gora Pobeda (auch Pik Pobeda genannt). Nach dem Scheitern im Winter 2015 am Manaslu, ihrer Umkehr im Winter 2016 am Nanga Parbat und dem erfolglosen Versuch am Kangchendzönga 2017 habe sie sich unter großem Druck gefühlt, erzählt Tamara. Sie habe versucht, jeden Schritt in der wunderschönen Natur Sibiriens zu genießen und nicht daran zu denken, was irgendwelche Leute von ihr erwarteten. „Das habe ich relativ gut geschafft und es hat mich richtig befreit. Als ich am Gipfel angekommen bin, habe ich aufgeatmet. Endlich!“

Das leben, was sie fühlt

Bei ihren künftigen Abenteuern wolle sie mehr auf ihre innere Stimme hören, verrät Tamara Lunger: „Ich versuche, das zu leben, was ich fühle. Ich kann nicht sagen, was morgen oder in einer Woche ist. Ich bin zurzeit suchend.“ Und dabei nicht nur auf die Berge fixiert. „Mir würde auch gefallen, mit einem Segelboot aufzubrechen.“

Tamara Lunger: Ich bin zurzeit suchend

Datum

16. Oktober 2018 | 16:42

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