Beat Kammerlander: „Es geht immer nur um das Wollen“
Der 59-Jährige ist ein Phänomen, eine lebende Kletterlegende: Immer noch meistert der Österreicher Beat Kammerlander senkrechte, fast grifflose Felswände – am liebsten im Rätikon, quasi vor der eigenen Haustür. Der Vorarlberger lebt mit seiner Frau Christine und den beiden gemeinsamen Kindern in Feldkirch. Vor einer Woche erhielt Kammerlander beim „International Mountain Summit“ (IMS) in Brixen den renommierten „Paul-Preuss-Preis“, mit dem Bergsteiger und Kletterer geehrt werden, die in der Tradition des 1913 verstorbenen Freikletter-Pioniers stehen. Preuss hatte für einen weitgehenden Verzicht auf Hilfsmittel wie Seile oder Haken plädiert („Das Können ist des Dürfens Maß“). „Eigentlich könnte man die Auszeichnung auch ‚Beat-Kammerlander-Preis‘ nennen“, sagte der Südtiroler Hanspeter Eisendle, Preisträger von 2013, in seiner Laudatio. Ich habe während des IMS mit Kammerlander gesprochen.
Beat, du wirst im nächsten Jahr 60 Jahre alt und kletterst immer noch krasse Touren. Verrätst du uns dein Erfolgsgeheimnis?
Da gibt es kein Geheimnis. Do what you love! Nur das zählt. (lacht) Ich habe mir mal vorgenommen, bis 40 mit diesem Leistungssport weiterzumachen. Dann wurde ich 40 und war stärker als vorher. Da habe ich gesagt: Warum soll ich jetzt mit etwas aufhören, das ich am liebsten mache? Über die Jahre gab es dann auch wieder mal Einbrüche, Stagnation, Verletzungen, aber immer wieder auch Highlights. Ich habe erkannt, dass es mir gefühlsmäßig mit der Weise, wie ich mein Leben führe und auch finanzieren kann, viel besser geht, als wenn ich irgendeinen Job machen würde. Und ich darf klettern gehen. Damit hat sich diese Frage erübrigt. Jetzt werde ich bald 60, das ist nur eine Zahl. Entscheidend ist, wie ich mich fühle und wie es mir geht.
Beat Kammerlander: Do what you love
Während das letzte Jahr super lief, war dieses Jahr kein schönes. Ich wurde von einer Zecke gebissen, bekam Borreliose und musste behandelt werden. Das hat mich über den Sommer ziemlich klein gehalten. Jetzt muss ich ein Stehaufmännchen sein. Es geht mir wieder gut. Aber ich brauche noch einige Monate mit gezieltem Training und Physiotherapie, damit ich wieder auf einem sehr hohen Level klettern kann.
Hat man dir Ruhe verordnet?
Nein, aber ich habe eine Familie mit zwei Kleinkindern. Sarah ist zweieinhalb, Samuel wird im Februar fünf Jahre alt. Ich verbringe sehr viel Zeit mit ihnen. Früher habe ich viel zu viel herumgeblödelt und sinnlos trainiert. Die Zeiteinteilung ist jetzt viel gezielter. Mir passt das sehr gut.
Du hast 2017 eine neue extrem schwierige Route im Rätikon eröffnet und sie „Kampfzone“ getauft. Musst du heute mehr kämpfen als früher?
Man kämpft immer so gut wie man kann, zu jedem Zeitpunkt. (lacht) Je nach Typus. Ich habe bei dieser Route vielleicht sogar ein bisschen mehr Motivation entwickelt wie früher, mehr Konsequenz, um dieses Ziel zu realisieren. Es war so schwer, diese Route erst einmal von unten bis oben zu eröffnen und die Haken zu setzen, dann die Passagen frei zu klettern. Und schließlich ging es darum, die Route Rotpunkt zu klettern, an einem Tag diese fünf Seillängen in hohem Schwierigkeitsgrad. 10+, 11-, 10-, 8 und 9+. Es erfordert eine sehr hohe Intensität, diese Seillängen aneinanderzuhängen. Für dieses Projekt habe ich mich noch einmal extrem kasteit und sehr speziell vorbereitet. Auch bei widrigsten Wetterverhältnissen bin ich dorthin gegangen und habe keine Zeit verschwendet. Ich bin auch bei Regen losgezogen. Ich wusste, dass es auf der anderen Seite des Bergs windig ist und der Pelz dann trocken wird. Das Ganze auf 2800 Metern, in einer Gipfelregion, wo es immer bläst. Da musst du dich warm anziehen und trotzdem klettern – und nicht sagen: Heute habe ich keine Lust, heute bin ich zu bequem. Es geht immer nur um das Wollen.
Beat Kammerlander: Es geht immer nur um das Wollen
Zeichnet es dich aus, beißen zu können?
Wahrscheinlich schon.
Braucht man das, um so lange im Geschäft zu bleiben?
Ich sehe das eher als beißen dürfen. Ich habe ja Spaß dabei. Sicher ist es ab und zu auch mit Schmerzen verbunden, so kleine Griffe zu halten. Aber es ist eben schön, wenn man so glatten, kleingriffigen Fels entschlüsseln und dort hochklettern kann. Wenn du der erste Mensch bist, der diesen Fels angreift und dort eine Spur, eine Linie hinterlässt. Das ist für mich Motivation.
Auch nach so langer Zeit? Kommt da nicht irgendwann auch mal ein Punkt, an dem man sagt: Jetzt reicht es?
Ich bin ja nicht jeden Tag unterwegs. Über das Jahr verteilt sind es im Grunde ja nur einige Tage, auf die man hinarbeitet – mental und körperlich, bis man dann losgelassen wird wie ein Rennpferd.
Brauchst du, um so ein Rennpferd zu sein, auch die Konkurrenz zu anderen Kletterern?
Nein. Das wäre mir so was von zuwider. Ich mache das ja nur für mich. Ich will mich nicht mit anderen messen. Das ist mir schnurzegal.
Aber das Klettern im Team ist dir schon wichtig?
Natürlich. Ich klettere eigentlich nur mit Freunden, anders funktioniert es nicht. Es ist ein Geben und Nehmen. Es ist ein echter Freundschaftsdienst, wenn jemand mit dir kommt, der die Schwierigkeiten nicht klettern kann. Du musst dankbar sein, wenn dich ein guter Freund bei einer Erstbegehung den ganzen Tag sichert und mit dir mitleidet. Und immer auf Zack ist. Denn wenn er dich nicht gut sichert, kannst du dich extrem verletzen.
Hat sich deine Rolle in den Jahrzehnten verschoben, vom Grünling …
Grünling war ich nicht lange. (lacht)
… zum Mentor?
Natürlich auch. Ich habe eine Riesen-Kletterszene um mich herum und habe sie auch hinsichtlich der Ideologie und Einstellung sehr geprägt: Dass man ehrlich bleiben muss und sagt, was man getan hat und wie man es realisiert hat.
Glaubst du, dass sich das Problem der fehlenden Ehrlichkeit in Zeiten der Vermarktung verstärkt?
Klar. Man kann sich ja viele Kletterprojekte aus den Fingern saugen, die eigentlich nichts wert sind, aber für einen schlechten Report eine gute Schlagzeile ergeben. Du hast dann dein mediales Echo bekommen, und das wird auch nicht widerrufen. Aber du hast einen Imageverlust, mit dem du auch leben musst.
Beat Kammerlander: Nur für die Schlagzeile
Deine Routen hast du zum größten Teil in Europa eröffnet. Warum bist du nie zu den ganz hohen Bergen im Himalaya oder Karakorum gegangen?
Das hat sich einfach nicht ergeben. Meine Projekte, die stetig vorhanden waren, haben mich einfach hier gehalten. Ich hätte schon die Motivation und das Interesse gehabt, auch an den hohen Wänden des Karakorum zu klettern, aber mittlerweile ist das passé.
Lass‘ uns über das Risiko reden. Wieviel Risiko darf bei dir sein?
Ich glaube, dass meine Routen, so wie ich sie geklettert habe, relativ sicher sind. Bei einigen meiner früheren Routen war das Risiko natürlich viel höher, etwa wenn ich free solo beim Eisklettern war oder schwere Routen beim Sportklettern gemacht habe. Aber im alpinen Sportklettern geht es um das Bewusstsein, das man entwickelt hat. Ich bin keiner, der sich ganz schnell aus einer blöden Situation befreien will. Ich habe die nötige Geduld und auch die mentale Power. Immer wieder rauf und runter, bis ich es schaffe. Viele halten das nicht aus und machen dann den verhängnisvollen Fehler.
Hast du auch mal Glück gehabt?
Natürlich. Des Öfteren.
Und was hat dich das gelehrt?
Vor allem, vorsichtig zu sein bei den Routineangelegenheiten. Oder wenn blöde Emotionen daherkommen. Dann machst du manchmal eine Dummheit. Und das ist nicht klug.
Hat sich in puncto Risikobereitschaft auch deine Vaterrolle ausgewirkt?
Wenn ich als Berg- und Skiführer beim Freeriden mit Gästem oder auch mal für mich selber unterwegs bin, sind es eigentlich die großen Gefahren, vor denen ich Schiss habe. Manchmal kannst du eine Flanke nicht ganz genau beurteilen. Dann stehst irgendwo da oben und musst runter. Du kannst die alpinen Sicherheitsregeln einhalten, aber ab und zu brauchst du eben auch deine Portion Glück. Da bin ich viel vorsichtiger geworden als früher.
Beat Kammerlander: Ich bin vorsichtiger geworden
Würdest du deine Kinder bestärken, wenn sie eines Tages kommen und sagen: Wir möchten das Gleiche wie du machen?
Natürlich. Tue, was du liebst! Aber ich will niemals jemanden in eine Richtung manipulieren. Das muss von selber kommen.
Und du hast das Gefühl, dass du dein ganzes Leben lang das gemacht hast, was du wolltest?
Ich glaube schon. (lacht)