Robert Jasper: „Wie ein Juwel im Schatzkästchen“
Der gefährlichste Eisbär von Grönland war er selbst. Immer wenn der deutsche Extrembergsteiger Robert Jasper im vergangenen Sommer während seiner einmonatigen Solo-Expedition im ewigen Eis sein Zelt aufschlug, baute er einen Eisbär-Schutzzaun darum. Wenn eines der Raubtiere den Zaun berührt hätte, wäre eine Leuchtrakete losgegangen, um den Eisbär zu vertreiben – und natürlich auch, um Robert zu warnen. An einem Tag war der 50-Jährige jedoch so in Gedanken, dass er den Zaun berührte, als er darübersteigen wollte. „Da hätte ich mich fast selbst in die Luft gesprengt“, erzählt Jasper.
Sprung zwischen zwei Welten
Wir begegnen uns beim zehnten und letzten „International Mountain Summit“ in Brixen. Im April hatte Robert seinen 50. Geburtstag gefeiert. „Ich habe mir gedacht: Bevor ich jetzt eine Midlife-Crisis kriege, mache ich lieber eine Solo-Expedition“, sagt Jasper und lacht. „Es war, als würde ich zwischen zwei Welten hin- und herspringen.“ Jasper paddelte mit einem Faltkajak durch die Fjorde Grönlands, wanderte bis zum Fuße des Bergs, den er sich ausgeguckt hatte, und schaffte in drei Tagen die erste Solobegehung des Molar Spire. Seine Route durch die 450 Meter hohe Felswand taufte er „Stonecircle“, weil „die beeindruckendsten Dinge im Leben meist steinig und schwer sind“.
Innere Ruhe und Nervenstärke
Die Mischung aus Alleine-unterwegs-sein, Kajakfahren und Bigwallklettern sei „sehr speziell gewesen“, sagt Robert. „Es war ein absolut geniales Abenteuer.“ Auch wenn er anfangs ein mulmiges Gefühl gehabt habe, sei er mit der Einsamkeit insgesamt gut klargekommen. „Es war sehr, sehr ruhig. Du hast nur die Geräusche der Natur. Über diese Stille findest du sehr schnell auch zu dir selbst. Ich war schnell mit mir im Reinen und habe die Stille in mich aufgenommen. Diese Einsamkeit, verbunden mit der Wildnis, war ein Wellnessurlaub für die Seele.“
Robert Jasper: Wellnessurlaub für die Seele
Als Jasper nach seiner Rückkehr in die Zivilisation von seinen Erlebnissen erzählte, waren seine Stimmbänder überfordert. „Ich habe ein paar Tage gebraucht, bis ich wieder richtig sprechen konnte. Ich war es nach vier Wochen einfach nicht mehr gewöhnt.“ So lange „alleine in der Wildnis, das hätte ich mit 20 Jahren niemals gekonnt“, glaubt Robert. „Auch nicht mit 30, vielleicht auch nicht mit 40. Du musst dich gut kennen, die innere Ruhe haben und auch die Nerven.“ Alle diese Eigenschaften erfülle er nun mit 50. „Trotzdem war es ein Experiment. Es hätte auch schiefgehen können.“ Dennoch, so Jasper, habe er in der ganzen Zeit nie das Gefühl gehabt, „das Ruder aus der Hand zu geben“.
Robert Jasper: Es war trotzdem ein Experiment
Erlebte Geschichten bewahren
Expeditionen wie diese auf Grönland seien „wie Juwelen, die ich in ein Schatzkästchen lege. Das sind Erinnerungen die mich glücklich machen“, sagt Robert. „Ich kenne viele, speziell jüngere Kollegen, die von einer Tour zur nächsten jagen, die erlebnissüchtig sind und das einfach nur konsumieren. Da denke ich mir: ‚Seid vorsichtig!‘ Du kannst einen Unfall haben und am nächsten Tag vielleicht nicht mehr bergsteigen oder klettern. Wenn du dann nicht gelernt hast, Erlebnisse zu schätzen, wirst du daran vielleicht sogar zerbrechen. Es ist wichtig, erlebte Geschichten zu bewahren.“
Robert Jasper: Juwelen für das Schatzkästchen
Auch wenn es seine erste Solo-Expedition war, gab es neben Teamerfolgen auch schon zuvor einige Alleingänge in Jaspers langer Karriere. So durchstieg er 1991 solo die „klassischen“ Alpen-Nordwände von Eiger, Matterhorn und Grandes Jorasses. Mit seiner Ehefrau Daniela eröffnete Robert 1999 die erste Eiger-Route im zehnten Schwierigkeitsgrad („Symphonie de Liberté“). Seine 2015 mit dem Schweizer Roger Schaeli und dem Südtiroler Simon Gietl gemeisterte „Odyssee“ gilt als bisher schwierigste Route durch die Eiger-Nordwand.
Expeditionen führten ihn unter anderem an den 7804 Meter hohen Nuptse East im Himalaya, nach Baffin Island in der Arktis – und nach Patagonien: Für ihre neue Route durch die Nordwand des Cerro Murallon im Jahr 2005 wurden Jasper und sein Teampartner Stefan Glowacz für den Piolet d’Or nominiert, den „Oscar der Bergsteiger“.
Eher ein Zehnkämpfer
Robert ist nicht nur im extremen Fels unterwegs, sondern auch ein exzellenter Eiskletterer. „Ich war ja nie ein reiner Sportkletterer“, sagt Jasper. „Ich betreibe verschiedene Disziplinen des Alpinismus und bin damit eher wie ein Zehnkämpfer. Sportklettern ist meine Basis: Je sicherer du klettern kannst, desto mehr Luft hast du im alpinen Gelände.“ Als Vater einer Tochter und eines Sohns sei „der Rucksack, den ich trage, größer und schwerer geworden“, räumt Robert ein. „Ich habe mehr Verantwortung, aber die Erfahrung wiegt das auf.“ Sicherheit sei für ihn das oberste Gebot, nicht nur am Berg. „Du musst versuchen, das Risiko zu minimieren und trotzdem den Schritt hin zu deiner Leidenschaft, deinen Abenteuern wagen. Das ist meine Philosophie.“