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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Ingemar und Franz

Ein Sportidol meiner Jugend hieß Ingemar, ein anderes Franz. Sie fuhren Ski – und wie. Der Schwede Stenmark wedelte wie kein zweiter durch die Torstangen, die anders als heute bei Berührung noch nicht wegkippten. Und der Österreicher Klammer raste atemberaubend schnell auch die schwersten Abfahrtsstrecken der Welt hinunter. Ingemar stand in meinen Augen für Eleganz, Franz für Mut.
Ich lernte das Skifahren mit acht Jahren, anfangs noch auf schrecklich langsamen Holzbrettern. Nur zwei Wochen im Jahr, immer in den Osterferien, blieben mir als Flachlandtiroler, um besser und vor allem schneller zu werden. Ich träumte von einer Karriere als Skirennfahrer, sah mich, je nach Stimmung, wie Ingemar durch die Stangen tanzen oder mich wie Franz in die Tiefe stürzen. Irgendwann muss es mir dann doch gedämmert haben, dass dafür zwei Wochen Training bei weitem nicht ausreichten. Den Spaß am Skifahren habe ich trotzdem nie verloren.


Auf den Spuren meiner früheren Sportidole

Der „Weiße Ring“

Und so freute ich mich riesig, in diesem Jahr zum laut Guinness-Buch der Rekorde längsten Skirennen der Welt eingeladen zu werden, zum „Weißen Ring“ in Lech am Arlberg. Natürlich als Reporter, aber mit der Chance, als einer von über 1000 Startern selbst am Rennen teilzunehmen. 22 Kilometer Piste über insgesamt 5500 Höhenmeter, unterbrochen von fünf Liftfahrten. Mein Zeitplan war eng gestrickt: Nachts mit dem Auto von Köln nach Lech, nachmittags Streckenbesichtigung, abends Pressetermin, am nächsten Morgen das Rennen. Also alles andere als eine optimale Vorbereitung. Und dann wollte ich ja auch noch das Mikrofon in die Brustinnentasche meiner Skijacke stecken und während des Rennens berichten (unten die Reportage zum Hören). Da konnte das Motto eigentlich nur heißen: Zeit unwichtig, heile ankommen.

Magenkribbeln

Als ich am Rennmorgen bei Kaiserwetter auf das Startkommando für meine Gruppe warte, kribbelt es in der Magengrube. Ingemar und Franz lassen grüßen. Doch schon auf den ersten Metern bergauf (!) werde ich zur Spreu, während der Weizen davonjagt. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass meine Ski-Idole wohl nie bei einem Rennen erst einmal nach oben stapfen mussten, ehe sie losfahren konnten. Endlich die Kuppe, ich gehe ich in die Rennhocke, nehme Geschwindigkeit auf. Auf den ersten Kilometern riskiere ich eher zu wenig, versuche, mich an das Tempo zu gewöhnen und keine Torstange zu verpassen – Ingemar für Arme! Als ich nach Zürs hinunterrase, etwa auf der Hälfte der Distanz, traue ich mich erstmals, die Bretter richtig laufen zu lassen, gerate in einen bescheidenen Geschwindigkeitsrausch – Franz für Arme!


Die Abfahrt vom Madloch, von rechts oben zur Bildmitte

Schwindler

Dann die Abfahrt vom Madloch, die steilste und gefährlichste Passage, immer im Schatten, eisig. Wer sich hier übernimmt, kann im Rettungshubschrauber landen. Ich schwindele mich sturzfrei ins Tal, wobei ich, Ehrenwort, kein Tor auslasse. Noch einmal hinauf, dann die letzten Kilometer bis Lech. Wenigstens auf dem Zielhang will ich eine halbwegs gute Figur machen. Tatsächlich gelingt es mir, noch einen Starter zu überholen. Der Zielstrich, ich bremse, die Waden brennen. Für einen kurzen Moment bilde ich mir ein, dass der Jubel der Zuschauer mir alleine gilt, dass ich Ingemar und Franz bin. Meine Zeit, 55 Minuten und 47,89 Sekunden, und meine Platzierung, 954. von 1064 Startern, holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Später erfahre ich, dass die beiden Schnellsten absichtlich Tore ausgelassen haben. Habe ich mir doch gleich gedacht!

Reportage: Der ‚Weiße Ring‘

Datum

15. April 2010 | 15:01

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