More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Zurechtgelegt

Im Kopf habe ich mir Christian Stangl schon zurechtgelegt. Was hast du dir nur dabei gedacht, vorzugeben auf dem Gipfel des K 2 gestanden zu haben? Hattest du wirklich geglaubt, du kämest mit dem getürkten Foto durch? War dir nicht klar, dass du damit nicht nur dir selbst, sondern der gesamten Profibergsteiger-Szene schaden würdest? Das will ich den 44 Jahre alten Österreicher fragen.


Stangls Lüge über den Gipfelerfolg am K 2 sorgte weltweit für Schlagzeilen

2004 sind wir gemeinsam Richtung Baltoro-Gletscher in Pakistan unterwegs gewesen, im selben Kleinbus auf dem Karakorum-Highway. Er wollte damals mit einem Freund den Broad Peak besteigen, ich war auf Reportagereise zum K 2-Basislager. Seit damals habe ich Christian nicht mehr getroffen, wohl aber seine Projekte als „Skyrunner“ aus der Ferne verfolgt. Nun also begegne ich ihm wieder, diesmal in der Rolle des Gipfelschwindlers vom zweithöchsten Berg der Erde.

Stimme versagt

Ich habe mir eine Karte für seinen Vortrag bei der „Globewelt“ in Köln gekauft. Zum einen, um mich auf mein geplantes Interview mit Christian vorzubereiten, zum anderen weil ich neugierig bin, wie er seine Täuschung am K 2 dem Publikum erklären, rechtfertigen, verpacken wird.
Schon als Stangl vorgestellt wird, spüre ich, dass auf der Bühne ein anderer Christian steht als der, den ich vor sechs Jahren im Karakorum kennengelernt habe. Das ist nicht mehr der vor Selbstbewusstsein strotzende Bergsteiger. Als er über den immensen Druck spricht, unter dem er gestanden habe, sackt erstmals seine Stimme kurz weg. Dann beginnt Christian, über seine Projekte der vergangenen Jahre zu berichten. Sein Vortrag wirkt routiniert und professionell. Bis zu dem Augenblick, als er von der Zeit erzählt, als seine Erfolgsserie riss. Plötzlich musste er mit dem Scheitern umgehen – und tat sich schwer damit. 2008 am K 2 war er hautnah dabei, als am „Flaschenhals“ auf etwa 8200 Metern elf Bergsteiger ums Leben kamen. „Heute weiß ich, dass ich das überhaupt nicht verarbeitet, sondern verdrängt habe“, räumt Christian ein.


Der K 2, majestätisch, schwer zu besteigen, gefährlich

Tränen fließen

Ein Jahr später musste er, wieder am K 2, rund 300 Meter unter dem Gipfel umdrehen, weil zu viel Schnee lag. Als Stangl im Dezember 2009 versuchte, den Mount Tyree, den mit 4852 Metern zweithöchsten Berg der Antarktis, zu besteigen, folgte der nächste Rückschlag. Ein herabfallender Stein brach seinem Kletterpartner den Unterarm, beide mussten umkehren. „Wieder nur 300 Meter unter dem höchsten Punkt“, sagt Christian. Dann versagt ihm die Stimme. Er beginnt zu weinen. Das Publikum im Saal stutzt, reagiert dann mit Applaus, um ihm Mut zu machen. Christian fängt sich wieder, erzählt nun mit hörbarem Kloß im Hals von seinem neuerlichen Scheitern am K 2 im Sommer 2010. Die Zuhörer erfahren wenig darüber. Sie spüren, er will nicht mehr darüber reden. Wenig später beendet Christian seinen Vortrag.

Lebt es sich ganz ungeniert?

Als ich ihn einige Minuten später anspreche, wirkt Christian immer noch aufgewühlt. Nicht gebrochen, aber sehr schwer angeschlagen. Er steht vor den Trümmern des Lebens, das er sich in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaut hat. Ich frage ihn, ob er bereit sei, mir ein Radio-Interview zu geben. Christian schüttelt den Kopf. „Darüber ist schon zu viel geredet worden“, sagt er. „Das Schlimmste ist, dass sich keiner mehr dafür interessiert, was ich vorher gemacht habe.“ Ich frage ihn, ob er sich wirklich wie in Trance eingebildet hat, auf dem Gipfel des K 2 gestanden zu haben. Christian weicht meinem Blick aus und sagt leise: „Das kann schon mit deinem Körper passieren.“ Hängt er nun seine sportliche Karriere an den Nagel und arbeitet wieder wie früher als Elektrotechniker? „Nein. Aber ich weiß nicht, wie es weitergeht.“
Stangl hat den Boden unter den Füßen verloren. Er hat ihn sich selbst weggezogen – und das weiß er. Ich versuche, ihn ein bisschen aufzumuntern: „Ja, ist der Ruf mal ruiniert, lebt es sich ganz …“. Christian fällt mir ins Wort: „Das sagt sich so leicht.“ Ich verabschiede mich von ihm, wünsche ihm Glück, wobei auch immer. Man sollte sich Menschen nicht zurechtlegen.

P.S. „Profibergsteiger stehen unter dem Druck, Superlative liefern zu müssen“, sagt Luis Stitzinger (die Geschichte über ihn folgt). „Ein Aufstieg auf dem Normalweg lockt heute keinen Hund mehr von der Ofenbank weg.“ In den Berichten der Bergsteiger werde „vielerlei beschönigt. Unschöne Details werden einfach weggelassen.“ Unten könnt ihr nachhören, was Luis mir zum Fall Stangl gesagt hat.

Luis Stitzinger zu Gipfelschwindel Christian Stangls

Datum

17. Oktober 2010 | 13:34

Teilen