Der Bergsteiger mit dem großen Herz
Die Menschlichkeit endet in der Todeszone, behaupten viele Höhenbergsteiger. Rettungsaktionen seien dort unmöglich. „Das ist doch Unsinn“, sagt Simone Moro. „Du bist auf 8000 Metern der gleiche Mensch wie zu Hause. Wenn du daheim jemand hilfst, hilfst du ihm auch am Gipfel des Mount Everest, K 2 oder Lhotse.“
Simone Moro
Jedes Jahr Post mit einem Dankeschön
Das sind keine leeren Worte. Der Italiener aus der Provinz Bergamo war am 21. Mai 2001 auf dem Weg zum Gipfel des Achttausenders Lhotse, als er erfuhr, dass der Engländer Tom Moore vermisst wurde. Simone machte sich alleine auf die Suche, fand Moore und brachte den nach einem 500-Meter-Sturz verletzten Bergsteiger in Sicherheit. Seine eigene Gipfelchance ließ Simone fahren.
Die UNESCO, die Kulturorganisation der Vereinten Nationen, zeichnete Moro dafür mit einem Fair-Play-Preis aus. „Das war keine heldenhafte Rettung“, wiegelt der Italiener ab, „für mich war das ganz normal.“ Und die vielen anderen Bergsteiger? „Die haben nur an ihren Gipfel gedacht und nicht daran, dass ein anderer ihre Hilfe brauchte. Es tut mir leid, dass unsere Welt auch dort oben so schlecht ist. Nicht immer, aber immer häufiger.“ Alljährlich am 21. Mai erhält Moro Post aus England. Tom Moore bedankt sich dann bei Simone dafür, dass er ihm ein zweites Leben geschenkt hat.
Freude in den Bergen ist wie Essen und Trinken
Darüber kann sich der Italiener mehr freuen als über einen Gipfel. Elfmal stand Moro bisher auf dem höchsten Punkt eines Achttausenders, allein viermal auf dem Mount Everest. Im Gegensatz zu anderen Profibergsteigern reizt es ihn aber nicht, die Achttausender-Sammlung zu vervollständigen, „weil das schon etwa 20 Leute geschafft haben. Ich träume davon, etwas Neues zu machen. Abenteuer sind der Motor meines Alpinismus.“
Simone am Gipfel des Makalu
Am liebsten teilt Simone diese Abenteuer mit seinen Freunden, wie früher Anatoli Boukreev oder jetzt Denis Urubko. Der Russe Anatoli Boukreev sei für ihn „der beste Freund der Welt gewesen“, wie ein Bruder, sagt Moro. Am ersten Weihnachtstag 1997 starb Boukreev in einer Lawine am Achttausender Annapurna. Moro wurde von den Schneemassen 800 Meter den Berg hinuntergespült und überlebte mit viel Glück. Das sei eine schwere Zeit gewesen, erzählt Simone. Ein Jahr lang habe er darüber nachgegrübelt, „ob ich in die Berge zurückkehren oder zu Hause bleiben soll.“ Moro kam wieder, „weil ich in den Bergen Freude finde – und die brauchen wir jeden Tag wie Essen und Trinken.“
Wohnungstür als wichtigster Gipfel
Im Kasachen Denis Urubko fand Simone einen neuen Freund und Seilgefährten, der wie er ständig auf der Suche nach neuen Abenteuern ist. Unter anderem gelang den beiden 2009 die erste Winterbesteigung des Achttausenders Makalu. „Unsere Freundschaft ist wie ein dritter Eispickel. Das Team ist das Geheimnis meiner Abenteuer.“ Demnächst werden die beiden wieder gemeinsam aufbrechen. Moro und Urubko wollen versuchen, mit dem Gasherbrum II im Karakorum in Pakistan einen weiteren Achttausender erstmals im Winter zu besteigen.
Um jeden Preis will Simone den Gipfel aber nicht erreichen. Schließlich trägt er als Ehemann der Südtiroler Top-Eiskletterin Barbara Zwerger und als zweifacher Vater auch Verantwortung. Seine Tochter ist zwölf Jahre, sein Sohn zehn Monate alt. Wenn er vor der Wahl stünde, mit Gipfel nur vielleicht, ohne Gipfel aber sicher heimzukehren, würde er sich bestimmt für die zweite Lösung entscheiden, sagt Simone. „Der richtige Gipfel ist die Tür meiner Wohnung.“
Bergführer und Pilot
Rettungsflüge im Himalaya
Der 43-Jährige will nicht ewig auf Expedition gehen: „Bis 50 kann ich noch ein guter Bergsteiger sein.“ Als Bergführer und Hubschrauberpilot sieht Moro seine Zukunft als Bergretter im Himalaya. Gerade ist Simone aus Nepal zurückgekehrt, wo er seine vier ersten Helikopter-Rettungseinsätze bis zu einer Höhe von 7000 Metern geflogen ist. „Ich habe damit begonnen, das neue Leben des Simone Moro vorzubereiten“, sagt der Bergsteiger mit dem großen Herz.
Interview mit Höhenbergsteiger Simone Moro
P.S. Dass Rettungsflüge im Himalaya riskant sind, zeigte sich am vergangenen Wochenende. In der Nähe des Sechstausenders Ama Dablam im Everest-Gebiet zerschellte ein Hubschrauber des Rettungsunternehmens Fishtail Air (für das übrigens auch Simone Moro kürzlich geflogen war). Der Pilot Sabin Basnet und sein Bordingenieur, beide aus Nepal, kamen bei dem Absturz ums Leben. Im vergangenen Frühjahr war Basnet an einer spektakulären Hubschrauber-Rettungsaktion an der Annapurna beteiligt gewesen.