Bonington: Die Pioniere sind anderswo
Als der Mount Everest 1953 erstmals bestiegen wurde, war Chris Bonington ein junger englischer Bergsteiger von 17 Jahren. Später gelangen ihm historische Klettereien, wie die Erstbesteigung der Annapurna II im Jahr 1960, des zentralen Freney-Pfeilers auf der Südseite des Mont Blanc 1961 und des 7285 Meter hohen Ogre im Karakorum zusammen mit Doug Scott 1977 (die zweite Besteigung folgte erst 2001). Aber Bonington erwies sich auch als ein großer Expeditionsleiter. 1970 leitete er die erfolgreiche Expedition zur Südwand der Annapurna, 1975 die Expedition zum Mount Everest, bei der Doug Scott und Dougal Haston erstmals durch die steile Südwestwand kletterten. Bonington selbst erreichte den Gipfel des Mount Everest 1985 als Mitglied einer norwegischen Expedition. Die Queen schlug ihn 1996 für seine Verdienste um den Sport zum Ritter. Ich traf den 78-Jährige letzte Woche bei der Feier zum diamantenen Jubiläum der Erstbesteigung des Mount Everest in der Royal Geographical Society in London und fragte ihn – natürlich – nach dem Everest.
Sir Chris Bonington, was denken Sie 60 Jahre nach der Erstbesteigung des Mount Everest über die Pioniere von damals?
Ich bin ein großer Anhänger der Tradition unseres Sports, zurückzublicken, es zu genießen und aus dem zu lernen, was unsere Vorgänger geleistet haben. In gewisser Weise war die erste Besteigung des höchsten Punktes auf der Erde einer der ganz großen Momente. Es ist Geschichte, wie es ihnen gelang, wie sie zusammenarbeiteten. Es war eine hervorragende Teamleistung, etwas ganz Besonderes.
Hillary war Neuseeländer, Tenzing Norgay ein in Indien lebender Sherpa. Und trotzdem, denke ich, war der Erfolg ein großer Schub für das britische Bergsteigen, weil eine britische Expedition die erste erfolgreiche am Everest war.
Eine britische und eine neuseeländische, weil George Lowe und Ed Hillary zwei wichtige Mitglieder waren. Es war eine Expedition des Commonwealth. Aber der Schlüssel lag darin, dass die Individualisten, die in dieser Gruppe zusammenkamen, zu einem Team zusammengeschweißt wurden, von John Hunt, der ein außergewöhnlich guter Expeditionsleiter war. Er hat uns eine Blaupause hinterlassen, wie man eine Expedition plant, organisiert und leitet. Es war die Leistung von allen, Ed Hillary und Sherpa Tenzing Norgay haben sie nur gewissermaßen abgeschlossen.
War die Erstbesteigung des Everest eine Initialzündung für Ihre Generation, schwierigere Dinge zu wagen?
Es ist eine ganz natürliche Entwicklung, das man von der Grundlage dessen ausgeht, was in der Vergangenheit geleistet wurde, um dann einen Schritt weiter zu gehen. Deshalb versucht die nächste Generation, das Ganze auf andere Ebenen zu heben. Als wir beispielsweise die Südwestwand des Everest durchstiegen, war dies die nächste Stufe. Reinhold Messners Solo-Besteigung des Everest von Norden aus war ein weiterer außergewöhnlicher Schritt. Es gab eine ganze Reihe von Entwicklungen am Everest und an den Bergen allgemein.
Aber es scheint mir, dass es nach dieser Ära einen Schritt zurück ging, als das kommerzielle Bergsteigen das Kommando übernahm.
Nein, es ist kein Schritt zurück, sondern eine ganz natürliche Entwicklung. Exakt das Gleiche geschieht in den Alpen, an Bergen wie dem Matterhorn oder dem Mont Blanc. Dort steigen auch jeden Tag Hunderte von Menschen auf, die von professionellen Bergführern geführt werden. Es war fast unvermeidlich, dass dies auch im Himalaya geschehen würde, und es ist geschehen. Hunderten von Menschen wurde es ermöglicht, den Gipfel des Mount Everest zu erreichen. Der Everest wird diesen Menschen nicht geschenkt, es ist für sie immer noch ein hartes Brot: 2000 Personen im Basislager, 200 in der Lhotse-Flanke, 100 pro Tag auf dem Gipfel, verbunden durch das Fixseil, das die Sherpas gelegt haben.
Sir Chris Bonington über kommerzielles Bergsteigen am Everest
Die Elite der Bergsteiger dagegen tut weiter außergewöhnliche Dinge, klettert im Alpinstil im sehr kleinen Team mit maximal vier, in der Regel zwei Mitgliedern, sehr oft auch solo. Das ist die absolute Spitze des Kletter-Abenteuers. Es gibt im Himalaya an den Bergen mit einer Höhe um die 8000 Meter immer noch Tausende nicht gekletterter Grate und Wände. Der Everest ist, wenn man so will, kein Platz mehr für die Pioniere. Die Pioniere sind anderswohin gegangen.
In diesem Frühjahr griffen Sherpas in einem Hochlager am Everest die europäischen Top-Bergsteiger Simone Moro und Ueli Steck an. Wie denken Sie darüber?
Ich finde das sehr bedauerlich. Ich habe großen Respekt und Sympathie für Ueli, ich kenne ihn und auch Jon Griffith, den englischen Bergsteiger (der ebenfalls angegriffen wurde). Sie kletterten zur Akklimatisierung durch die Lhotse-Flanke zum Südsattel, vielleicht um dort ein bisschen Material abzuladen. Sie bereiteten sich auf ein tolles Projekt vor. Sie versuchten, den arbeitenden Sherpas aus dem Weg zu gehen und störten sie in keiner Weise. Ich denke, es gab vorher schon eine Menge Spannung und Ärger unter den Sherpas, vielleicht fühlten sie sich zu schlecht bezahlt. Dinge, die eigentlich nichts mit dem Verhalten der drei Bergsteiger zu tun hatten. Aber der Boden war bereitet, und die Sherpas griffen sie an. Das war unverzeihlich, entsetzlich, sehr bedauerlich. Aber es zeigt, dass es nötig ist, einen ernsthaften Blick auf das ganze System am Everest zu werden. Die Leiter der kommerziellen Expeditionen, die Regierung, die Gemeinschaft der Sherpas, alle Menschen, die am Everest beteiligt sind, müssen zusammenkommen und ernsthafte Gespräche darüber führen, wie die Situation verbessert werden kann.
Sir Chris Bonington über den Sherpa-Angriff am Everest
Würden Sie sagen, dass es ein Konflikt ist, der schon vor langer Zeit entstanden und jetzt ausgebrochen ist?
Ich denke, es hat bereits seit geraumer Zeit gebrodelt. Es ist wie bei allem: Wenn zu viele Menschen zusammen sind, wenn es dabei zwei größere Gruppen gibt, wenn Druck und auch Geld im Spiel sind, dann laufen die Dinge schief.