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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Wenn es den Everest juckt

Ende Februar. Noch ist es ruhig zu Füßen des Mount Everest. Die Ruhe vor dem Sturm. Oder sollte ich sagen Ansturm? Denn auch in diesem Frühjahr werden wieder Hunderte von Bergsteigern das Basislager auf der nepalesischen Südseite in eine Kleinstadt verwandeln, inklusive Hubschrauberlandeplatz, Miniklinik und kabelloser Internetverbindung. Eigentlich allerhöchste Zeit, mal wieder meinen Freund Chomolungma auf seinem Handy anzuläuten. Bevor er wieder völlig gestresst ist. 

Namasté, Chomo! Hier ist Stefan.

Du schon wieder. 

Nun übertreibe mal nicht. Ich habe dich doch nicht aus dem Winterschlaf geweckt, oder? 

Schau mal auf den Kalender! Vorsaison. Noch habe ich Urlaub. 

Freust du dich denn nicht wenigstens ein bisschen auf die Bergsteiger, die dir zum Jubiläum, 60 Jahre nach der Erstbesteigung, ihre Aufwartung machen? 

Willst du eine ehrliche Antwort? 

Ich bitte darum. 

Mindestens 90 Prozent von ihnen können mir gestohlen bleiben. Aber die kommen trotzdem, ohne dass ich sie eingeladen habe. 

Dann bleiben aber doch immerhin noch zehn Prozent, die du willkommen heißt. 

Du hörst nicht zu. Ich sagte, mindestens 90 Prozent. Aber unter uns: Auf einige Bergsteiger freue ich mich tatsächlich. 

Zum Beispiel? 

Etwa auf Simone Moro aus Italien und Ueli Steck aus der Schweiz, auf die kasachisch-russische Seilschaft Denis Urubko und Alexej Bolotov oder auf die beiden Russen Gleb Sokolov und Alexander Kirikov. Die wollen mich endlich mal wieder da kratzen, wo es juckt. 

Das musst du mir erklären. 

Schon mal was von RSI gehört? 

Sollte ich? 

RSI steht für Repetitive Strain Injury. Jemand, der ständig die gleiche Bewegung macht, z.B. mit einer Computermaus, bekommt irgendwann Schmerzen in Schulter, Nacken, Arm oder Hand. 

Und was hat das mit dir zu tun? 

(Stöhnt) Also für Begriffsstutzige wie dich: Jahr für Jahr belagern mich Hunderte und Aberhunderte auf den beiden Normalrouten, eine völlig einseitige Belastung. Das tut auf Dauer richtig weh. Und wo keiner unterwegs ist, an meinen schönen, steilen Wänden, dort juckt es dann. Entzugserscheinung. Das Gegenteil von RSI.

Verstehe. Bergsteiger auf neuen Routen verschaffen dir Linderung gegen den Juckreiz. 

Ja, Schnellmerker. Wenn Urubko und Bolotov in der Südwestwand, Sokolov und Kirikow in der Ostwand und Moro und Steck wo auch immer, aber auf jeden Fall auf neuer Route klettern, sind sie für mich wie ein Yak-Schwanz, der die Fliegen verscheucht. 

Der Vergleich hinkt aber. Denn diese Top-Bergsteiger sorgen vielleicht dafür, dass deine vernachlässigten Zonen gekratzt werden, aber doch nicht dafür, dass du dein RSI-Syndrom los wirst. 

Dafür habe ich meinen eigenen Yak-Schwanz. 

Du willst doch nicht … 

Jetzt komm’ mir bloß nicht mit Moral. 

Kannst du denn nicht wenigstens in der Jubiläumssaison ein Auge zudrücken? 

Mein Auge ist seit Jahren geschlossen. 

Warum? 

Weil diese Schmeißfliegen darauf sitzen. 

Das heißt, du drohst ihnen? 

Ich bin nur ein Berg, schon vergessen?

Datum

27. Februar 2013 | 17:11

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