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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Wie Clint ohne Colt

Vorher…

Einige Berufe mit großer Tradition sind in unseren Breiten nahezu ausgestorben. Etwa der des Barbiers. Die Haare kannst du dir in Europa überall schneiden lassen, aber den Bart entfernen? Das kennen wir bestenfalls noch aus den Western des letzten Jahrhunderts: Clint Eastwood setzt sich auf den Stuhl, ein schmieriger Barbier zückt das Rasiermesser und setzt es Clint mit einem fiesen Grinsen an den Hals. Das Lächeln vergeht ihm jedoch, weil Clint ihm den geladenen Colt zwischen die Beine hält. Oder war es Charles Bronson? Wie auch immer, an diese Szene fühle ich mich heute morgen erinnert, als ich von einem jungen Uiguren auf dem Barbierstuhl in die Waagerechte befördert werde und er mir das Rasiermesser an den Hals hält.

Neue Klinge

Unterm Messer

Drei Wochen lang haben wir uns nicht mehr rasiert, haben damit dem Klischee entsprochen, dass Bergsteiger auf Expeditionen verwildern, zu langmähnigen und -bärtigen Halbtieren werden. Doch ehe wir hier in Kaschgar aufgrund unseres wilden Erscheinens als Yetis in den Zoo eingeliefert werden oder als Kinderschreck in Polizeigewahrsam geraten, beschließen Churchy, Hannes, Richard, Manuel und ich, gemeinsam einen Barbier aufzusuchen und uns der Barthaartracht zu entledigen. Keine 200 Meter von unserem Hotel entfernt lotst uns Muhammad, unser „Basecamp Manager“, in einen Barbierladen. Fünf Meister ihres Fachs erwarten uns. Wer als Mann jemals in Asien weilt, sollte sich dieses Erlebnis, das umgerechnet gerade einmal 2,50 Euro kostet, nicht entgehen lassen. Zunächst ölt der Barbier die Haut unter dem Bart ein und massiert sie minutenlang. Erst dann trägt er die Rasiercreme auf und schäumt sie mit einem Pinsel auf. Der junge Uigure, der mich unter dem Messer hat, macht mich mit einem schelmischen Lächeln darauf aufmerksam, dass er eine neue, scharfe Klinge einsetzt. Ich überlege kurz, ob das der Augenblick wäre, den Colt zu ziehen. Aber ich bin nicht Clint, sondern völlig wehrlos.

Der Bart ist ab

… nachher

Nun führt mir der Barbier die Klinge durchs behaarte Gesicht. Sehr geschickt, sehr vorsichtig. An den kritischen Stellen, etwa unterhalb der Lippe oder unter der Nase, zieht er routiniert die Haut glatt und entfernt auch dort die Yeti-Spuren. Nachdem er das Messer beiseite gelegt hat, massiert er noch einmal nach und schneidet als Zugabe mit einer Schere die lang gewachsenen Haare in Nase und Ohren. Nach einer Viertelstunde ist das Werk vollendet. Mit einer Gesichtshaut, so glatt wie ein Kinderpopo, mache ich dem nächsten Platz. Die Gefahr, in Kaschgar eingesperrt zu werden, ist gebannt.

Ende des Ramadan

Glanz vergangener Tage

Nach dem Besuch beim Barbier lassen wir uns durch Kaschgar treiben. Heute endet der Fastenmonat Ramadan. Die moslemische Bevölkerung ist in Feierlaune, viele tragen Festtagskleidung. Auf offener Straße werden Schafe geschächtet, Fleischspieße gegrillt und Brotfladen gebacken. Kaschgar hat zwei Gesichter. In der Altstadt versprüht es noch den Charme der alten, muslimisch geprägten Stadt an der Seidenstraße. Drumherum schießen die Hochhäuser nach chinesischem Großstadtmuster in den Himmel. Auf dem Platz vor der großen Mao-Statue haben schwer bewaffnete Polizeieinheiten dauerhaft Stellung bezogen. Vor einigen Jahren gab es in Kaschgar und anderen Städten der Region schwere Unruhen, weil die Uiguren nach Unabhängigkeit strebten, die Zentralregierung in Peking dies jedoch mit allen Mitteln verhindern wollte. Von diesem Konflikt ist auf den Straßen Kaschgars zum heutigen Ende des Ramadan wenig zu spüren.

Datum

29. Juli 2014 | 15:43

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