More DW Blogs DW.COM

Treffpunkt - Buluşma Noktası

Türkische und deutsche Kultur im Dialog

Familienpolitik

Es ist schon eine kuriose Eigenschaft der Menschen sich über Eigenartigkeiten in einer anderen Kultur zu mokieren und dabei zu vergessen, dass diese Eigenart in ihrer eigenen Kultur genauso vorhanden war oder teilweise noch ist. Familien schauen halt gerne genau darauf, wen sich ihre Söhne und Töchter als Lebenspartner, ja sogar als Ehepartner aussuchen. Und gerne greifen sie dabei korrigierend ein.

Dass Ehen aus gegenseitiger Zuneigung, also aus Liebe, geschlossen wurden, ist auch so eine Erfindung der Neuzeit. Ja die Liebe!

Cäsar und Kleopatra, Romeo und Julia, die Minnesänger, die das schöne Burgfräulein besangen, die großen Lieben der Geschichte waren eher Ausnahmen als die Regel und endeten meist tragisch. Es konnte natürlich nicht jede Frau das Glück haben, gleich einen Tempel der Winde von Taj Malhal geschenkt zu bekommen. Die Wirklichkeit sah anders auch. „Felix Austria nube“, „glückliches Österreich heirate“, auf diesem Leitspruch wurde ein ganzes Reich aufgebaut. Die kleineren Fürstentümer in Europa ahmten die Habsburger nach. So wurde dann sorgfältig ausgesucht, dass die Sprösslinge der Familien nur ihresgleichen zum Partner nahmen. Dass da auch mal in der eigenen Familie geheiratet wurde, war zeitweise unumgänglich. Die berühmte Unterlippe der Habsburger zeigte dann die Auswirkungen dieser Politik.

Die Untertanen der Herrschenden machten es ihnen nach. Der Großbauer achtete peinlich genau drauf, dass seine Tochter nicht den Avancen eines Knechtes verfiel, sonder sich eher den Sohn eines anderen Großbauern zum Mann nahm, so blieb der Besitz nicht nur in der Familie, sondern er mehrte sich auch noch. Auch sollte verhindert werden, dass sich jemand ins „gemachte Nest setzt“. Diese Redewendung drückt sehr schön den Sinn und Zweck der Familienpolitik aus.

Alte Zeiten, längst verweht. Denkste! Charles und Diana gingen nicht unbedingt einen aus Liebe geschlossenen Bund fürs Leben ein. Und der Fürst, dessen Vorfahren Jahrhunderte lang die Postkutschen quer durch Europa schickten, nahm sich auch eine Standesgemäße zur Frau. Auch das ist gerade erst ein paar Jahre her. Ein mächtiger deutscher Verleger, der über seine Zeitungen das Verhältnis seiner Tochter mit einem, seiner Ansicht nach, Nichtnutz, zerstört. In jüngster Vergangenheit geschehen.

Die Ehe ist auch heute eher eine pragmatische Zweckgemeinschaft, als ein aus Zuneigung geschlossener Bund.

Eltern achten auf ihre Kinder, auch dann noch wenn diese anfangen, eine eigene Familie zu gründen. Ein vollkommen normaler Vorgang wohl in allen Kulturen.

Nur warum die Deutschen so gerne die Nase rümpfen und der türkischen Kultur bei deren Achtsamkeit für ihre Kinder teilweise gar Ungeheuerliches unterstellen, bleibt wohl ein Rätsel.

Vielleicht ist es die Unkenntnis über die eigene Vergangenheit oder auch nur die grassierende Kinderlosigkeit der Deutschen, die zu einem solchen Verhalten führt.

Bevor man sich über andere erhebt: Einfach mal vor der eigenen Haustür kehren.

Datum

Mittwoch, 03.10.2012 | 17:03

Teilen