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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Die eigentlich Blinden am Everest sind die Unerfahrenen

Südseite des Mount Everest

Südseite des Mount Everest

Die nepalesische Regierung hat ein Fass aufgemacht, dessen Inhalt ihr jetzt um die Ohren spritzt. Vor einer Woche kündigte Tourismusminister Kripasur Sherpa schärfere Regeln zur Vergabe von Permits für den Mount Everest an. Die Regierung erwägt Altersgrenzen – ab 18, bis 75 Jahre – und will seltener als bisher Genehmigungen für behinderte Bergsteiger ausstellen. „Körper- oder sehbehinderte Menschen brauchen normalerweise jemanden, der sie hochträgt, das ist kein Abenteuer“, sagte der Minister. „Nur diejenigen, die selbstständig laufen können, werden künftig eine Erlaubnis erhalten.“ Der US-Amerikaner Erik Weihenmayer, der 2001 als erster Blinder den Mount Everest bestieg, ist empört. Das spreche für die Vorurteile, die in der nepalesischen Regierung verbreitet seien. „Es ist eine Schande, dass der Tourismusminister die Tragödien der letzten beiden Jahre dazu nutzt, um die verschwindend kleine Zahl behinderter Bergsteiger als Sündenböcke abzustempeln und eine Politik einzuleiten, die das Problem nicht lösen würde“, schreibt Weihenmayer auf Facebook. „Offen gesagt, sind Bergsteiger mit besonderen Einschränkungen wie einer Behinderung, Alter oder ähnlichem doch sogar gezwungen,  besser vorbereitet und vorsichtiger bei ihren Entscheidungen zu sein.“

Erst der Kibo, dann der Everest

Andy Holzer

Andy Holzer

Das sieht auch der blinde österreichische Bergsteiger Andy Holzer so. „Ich denke, dass sehr wenige Bergsteiger am Everest so exakt auf ihre ganz spezielle Herausforderung Everest vorbereitet sind wie das behinderte Abenteurer mit ihrem persönlichen Team sind bzw. sein müssen“, schreibt mir der 49-Jährige. „Das Problem sind wohl eher die Bergsteiger, die am Everest zum ersten Mal Steigeisen anziehen und darüber ganz erstaunt sind.“ Andy war im Frühjahr 2014 auf der nepalesischen Südseite und in diesem Jahr auf der tibetischen Nordseite des Mount Everest, um sich am höchsten Berg der Erde zu versuchen. Beide Male musste er unverrichteter Dinge wieder heimreisen: 2014 wegen des Lawinenunglücks im Khumbu-Eisbruch, 2015 wegen der Folgen des Erdbebens vom 25. April. In Nepal habe er im vergangenen Jahr Everest-Aspiranten getroffen, die ganz stolz verkündeten, sie hätten schon den Kilimandscharo bestiegen und der Everest würde jetzt der zweite Berg in ihrer Seven-Summits-Sammlung, sagt Andy: „Solche Tatsachen geben mir eher zu denken. Und da kann ich auch verstehen, dass nicht jeder jederzeit auf den Everest gehört.“

Kompetenz sollte entscheiden

Ins gleiche Horn stößt der Neuseeländer Mark Inglis, der 2006 als erster beidseitig Beinamputierter den Everest bestieg. „Wenn man die Daten über die Jahre analysiert, stellt man fest, dass nicht die behinderten oder älteren Bergsteiger das Problem sind, sondern die unerfahrenen“, sagte Mark dem kanadischen Sender CBC. „Wir sollten die Leute danach sortieren, wie kompetent sie am Berg sind.“ Er könne versichern, dass niemand ihn damals auf den Everest getragen habe. „Es so hinzustellen, dass jeder behinderte Bergsteiger hinaufgetragen werden muss, ist schlichtweg falsch. Es sollten nur Leute dort hinaufsteigen, die es aus eigener Kraft können.“

Datum

5. Oktober 2015 | 16:31

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