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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Erschütterungen, die nachwirken

Bauarbeiten im Touristenviertel Thamel

Bauarbeiten im Touristenviertel Thamel

„Ich bin jetzt 57 Jahre alt“, sagt Sunil. „Und das war das einschneidendste Erlebnis, das ich bisher hatte.“ Der Nepalese spricht über den 25. April vergangenen Jahres, als in Nepal die Erde bebte. Fast 9000 Menschen kamen ums Leben. Sunil nahm gerade in einer Halle in der Hauptstadt Kathmandu an einer Veranstaltung mit 2500 Gästen teil. „Plötzlich schaukelte das gesamte Gebäude. Alle strebten dem Ausgang zu, der viel zu klein für den Ansturm war“, erinnert sich Sunil. „Die Leute fielen übereinander, es gab eine Panik. Ich dachte, es hat keinen Zweck. Ich muss hier drinnen bleiben. Wenn ich es nicht überlebe, sollte es eben so sein.“ Die Halle hielt den Erschütterungen stand. Sunil kam mit dem Schrecken davon.

Visum im Eiltempo

Das Leben in Kathmandu wirkt fast wie immer: chaotisch, laut, bunt. Doch es fällt auf, dass deutlich weniger Touristen in der Stadt sind als sonst üblich. Im Flugzeug, mit dem ich anreiste, saßen nur ungefähr ein Dutzend Urlauber, sonst nur nepalesische Gastarbeiter aus der Golfregion. Noch niemals zuvor erhielt ich mein Visum am Flughafen so schnell wie diesmal. Keine Schlangen vor den Schaltern, bereits nach zehn Minuten stand ich am Gepäckband. Auch Thamel, das Touristenviertel der Stadt, wirkt mittags fast, als hätte bereits die Sperrstunde eingesetzt. Ein paar Backpacker verlieren sich in den Gassen. Wie sollen nur all die Ladenbesitzer über die Runden kommen?

Tod in der Mittagspause

Stupa von Swayambhunath

Stupa von Swayambhunath

Oben in Swayambhunath, einer der ältesten buddhistischen Tempelanlagen überhaupt, zeugen noch einige Trümmer von dem Beben vor fast einem Jahr. „Ein Klostergebäude ist eingestürzt. Sechs Bauarbeiter, die dort arbeiteten, waren gerade zur Mittagspause gegangen“, erzählt einer der selbsternannten Fremdenführer auf dem Tempelhügel, die sich jedem Touristen an die Fersen heften, um ein paar Rupien Trinkgeld abzustauben. „Einer der Arbeiter wollte nicht mitkommen. Er starb in den Trümmern.“ Das Zentrum der Anlage, der buddhistische Stupa, blieb unversehrt. Nur einer der beiden hinduistischen Türme, die ihn flankieren, stürzte ein.

Kopflos

Wegen Wiederaufbaus gesperrt

Wegen Wiederaufbaus gesperrt

Am anderen Ende der Stadt hat es den Stupa in Boudhanath, der zum Weltkulturerbe gehört, schlimmer erwischt. Die komplette Spitze mit den markanten Augen des Bhudda brach ab. Die Aufbauarbeiten haben vor kurzem begonnen. Überhaupt wird viel gebaut in Kathmandu. Die Erdbebenschäden sollen so schnell wie möglich beseitigt werden, damit die Urlauber zurückkehren. Der Himalaya-Staat hängt schließlich an der Nabelschnur des Tourismus. Nach offiziellen Angaben kamen im letzten Jahr ein Drittel weniger Urlauber nach Nepal als 2014. In Wahrheit sei der Tourismusmarkt noch viel deutlicher eingebrochen, erzählt eigentlich jeder, den ich in Kathmandu darauf anspreche.

Zwei Monate im Garten gezeltet

In der Nähe des Flughafens, direkt neben dem riesigen Gelände eines Luxushotels, leben noch immer rund 450 Menschen in einer Zeltstadt. Ihre Häuser waren bei dem Beben zusammengebrochen. Sunil hatte mehr Glück. Nur eine Begrenzungsmauer seines Grundstücks stürzte ein. „Trotzdem haben wir zwei Monate im Zelt im Garten übernachtet – und mit uns viele Nachbarn, die keinen Garten haben“, erzählt Sunil. „Wir sind nur ins Haus gegangen, wenn wir etwas dringend benötigten.“ Auch wenn es jetzt nur noch wenige und sehr schwache Nachbeben gibt, die Angst sei immer noch da. „Schließlich gibt es Wissenschaftler, die für unsere Gegend in naher Zukunft ein noch stärkeres Erdbeben erwarten.“

Datum

11. März 2016 | 19:40

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