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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Gedanken an Kurt

Die große ISPO ist manchmal wie ein kleines Dorf. Die Bergsteiger-Szene trifft sich alljährlich bei der weltweit größten Fachmesse für Sportartikel und Sportmode in München. An den Ständen einiger Ausrüster geht es zu wie im Taubenschlag. Bekannte Bergsteiger geben sich die Klinke in die Hand: Gerlinde Kaltenbrunner, Ines Papert, Alix von Melle, Ralf Dujmovits, Thomas Huber, Krzysztof Wielicki, David Göttler und Holger Heuber liefen mir über den Weg, als ich mich Anfang der Woche einen Tag lang auf der ISPO herumtrieb. Mit einigen von ihnen plauschte ich nur, mit anderen machte ich auch Interviews (wie ihr nach und nach im Blog lesen und hören könnt).


Holger Heuber, Bergsteiger, Wildwasser-Kajakfahrer und Kameramann

Hinter dem Regenbogen

Holger Heuber hat Ende 2010 mit Stefan Glowacz eine neue, schwierige Route am Roraima Tepuis eröffnet, einem 2810 Meter hohen Tafelberg im Dreiländereck zwischen Venezuela, Brasilien und Britisch-Guyana. „Behind the rainbow“ tauften die beiden den Weg durch die steile Wand – in Erinnerung an ihren kurz vor der Expedition tödlich verunglückten Kletterpartner Kurt Albert, „weil sein Leben so bunt und schillernd wie ein Regenbogen war“.
Noch im Frühjahr 2010, beim ersten gescheiterten Versuch, war Albert, ein Pionier des Freikletterns, mit ihnen nach Venezuela gereist. Am 28. September dann der Schock: Der 56-Jährige starb an den schweren Verletzungen, die er sich bei einem 18-Meter-Sturz von einem Klettersteig im Frankenjura zugezogen hatte. Ein Schraubkarabiner hatte sich gelöst. „Dieser Umstand deutet auf einen möglichen versehentlichen Handhabungsfehler durch den Verunglückten hin“, hieß es im Abschlussbericht der ermittelnden Polizei.


Kurt Albert, deutsche Kletterlegende (1954-2010)

Der Bruchteil einer Sekunde

„Solche Sachen passieren, aber wirklich verstehen kann man sie nicht“, sagt Holger Heuber (unser Gespräch könnt ihr unten nachhören). „Wenn mich vorher jemand gefragt hätte, ich hätte es einfach für unmöglich gehalten. Aber das ist ein Bruchteil einer Sekunde, in dem man nicht hundertprozentig konzentriert ist.“
Zwanzig Jahre lang waren Holger und Stefan mit Kurt geklettert. „Er war ein ganz fester Bestandteil unserer Gruppe, nicht nur als hervorragender Bergsteiger, sondern vor allem auch als Mensch“, erzählt Holger. „Er war einfach ein ganz besonderer Typ. Mit Kurt hat es immer unheimlich Spaß gemacht. Wir haben ihn extrem vermisst bei dieser Expedition.“


Holger (r.) mit Stefan beim Klettern in Brasilien

Unser Leben

Es sei extrem schwierig gewesen, sich mental auf die Kletterei an dem Tafelberg einzulassen. „Kurt war die ganze Zeit präsent, vor allem in unseren Gedanken.“ Eigentlich könne man sich solche Emotionen gar nicht leisten, wenn man extreme Touren klettere. „Wenn man anfängt nachzudenken, was alles geschehen kann – und so ein Unfall wie Kurts hätte auch mir jederzeit passieren können – dann ist es schwierig“, sagt Holger. Der 48-Jährige, der auf zahlreiche Erstbesteigungen, unter anderem in der Arktis und Antarktis, zurückblicken kann, hatte zunächst überhaupt keine Motivation, in die Wand einzusteigen. „Irgendwann habe ich dann aber den Spaß am Bergsteigen zurückgewonnen. Ich habe dort draußen gemerkt, dass es genau das ist, wofür Kurt gelebt hat. Das ist unser Leben. Das war der Punkt, der mir geholfen hat, diese Geschichte zu verarbeiten.“

Interview mit Bergsteiger Holger Heuber

Datum

11. Februar 2011 | 12:43

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