Hervé Barmasse, Bergsteiger mit Gefühl
Ausgelutschte Berge gibt es nur für Bergsteiger, die ihren Geschmackssinn verloren haben. Auf diesem Standpunkt steht Hervé Barmasse. Der Italiener aus dem Aostatal hat im vergangenen Jahr an gleich drei „Modebergen“ der Alpen neue Routen eröffnet: an seinem Hausberg Matterhorn, dem Mont Blanc und dem Monte Rosa. „Ich wollte zeigen, dass man auch in den Alpen noch Abenteuer erleben kann“, sagt der 34-Jährige während unserer gemeinsamen Wanderung beim International Mountain Summit in Brixen in Südtirol. „Abenteuer ist für mich, neue Routen zu finden, neue Berge zu besteigen, und dabei nicht nur die Welt, sondern mich selbst zu erforschen – das, was ich am Berg fühle. Denn ein Leben ohne Emotionen ist nicht gut.“
Herve Barmasse: Abenteuer ist für mich, wenn …
Neuland am Matterhorn
Zum Auftakt seiner Trilogie eröffnete Hervé im Alleingang eine neue Route durch die italienische Südwand des Matterhorns (Seht euch das Video unten an! Copyright: The North Face): 1200 Höhenmeter, die ersten 500 Meter durch eine Rinne, die folgenden 700 über einen steilen, teilweise überhängenden Pfeiler. „Das war echtes Neuland und ich habe gezeigt, dass es selbst an diesem Berg noch möglich ist, eine neue lange Route zu erschließen“, findet Hervé. Seinen ursprünglichen Plan, auch die anderen beiden Berge solo zu klettern, gab er auf – der Gefühle wegen: „Wenn du mit deinem Vater oder Freunden kletterst, sind mehr Emotionen mit im Spiel. Ganz besonders mit dem Vater. Es war unglaublich.“
Nicht nur Kraft zählt
Zunächst gelang Barmasse am Mont Blanc mit den spanischen Brüdern Iker und Eneko Pou eine Erstbegehung über den Brouillardpfeiler. Und dann eröffnete Hervé mit seinem damals 62 Jahre alten Vater Marco eine neue Route am Monte Rosa. Seit drei Generationen sind die Männer im Hause Barmasse Profi-Bergführer. Im Vergleich zu Hervés Kindertgen waren die Rollen vertauscht: Jetzt kletterte der Sohn als Seil-Erster und der Vater hinterher. Das hatten sie so auch schon 2010 am Matterhorn praktiziert, als die beiden erstmals durch die später „Barmasse-Couloir“ getaufte Rinne in der Südwand geklettert waren. „Das hatten vor uns schon viele hochkarätige Kletterer vergeblich versucht“, erzählt Hervé stolz. „Wir haben es geschafft. Der Berg schickte damit eine Botschaft: Manchmal braucht man nicht viel Kraft, Muskeln oder ähnliches, sondern vor allem eine gute Einstellung.“
Herve über das Klettern mit seinem Vater
Traum von einer neuen 8000er-Route
Bergsteigerische Spuren hat Hervé auch schon im Karakorum in Pakistan hinterlassen. Dort gelang ihm 2008 mit seinem Landsmann Simone Moro die später auch preisgekrönte Erstbesteigung des fast 7000 Meter hohen Bekka-Brakai-Chhok-Südgipfels. Zwei Jahre später wollte Barmasse den Gasherbrum I (8080 Meter) erstmals über die chinesische Nordwand besteigen. Doch die Expedition erreichte wegen logistischer Schwierigkeiten und Problemen mit dem chinesischen Militär nicht einmal das Basislager. „Es bleibt mein Traum, meinen ersten Achttausender auf einer neuen Route zu besteigen“, sagt Hervé, der auch über den Tellerrand hinaussieht. 2010 veranstaltete er gemeinsam mit Simone Moro und zwei pakistanischen Freunden im Karakorum ein Kletter-Camp für einheimische Träger. Auch Frauen waren unter den Kursteilnehmern. „In Pakistan haben Frauen normalerweise kaum die Chance, Berge zu besteigen. Dass sie dabei sein konnten, bedeutete für mich eine andere Art von Emotion. Vielleicht sogar besser, als einen Gipfel zu erreichen.“