Relativ sauber
Die Relativitätstheorie gilt überall – auch im Basislager zu Füßen des Putha Hiunchuli, 100 Meter höher gelegen als der Gipfel des Mont Blanc. Man muss nicht Albert Einstein heißen, um das zu verstehen. Es genügt ein Ruhetag wie der heutige, um den Beweis zu erbringen. Die spezielle Relativitätstheorie betrifft die Sauberkeit. Seit anderthalb Wochen sind wir in den Bergen Nepals unterwegs und daher relativ dreckig, auf dem besten Weg zu Halbwilden.
Bekennender Yeti
Zugegeben es sind einige männliche Bergfreunde im Team, die sich mit Akku-Rasierern tapfer gegen das Fell im Gesicht wehren. Ich gehöre nicht dazu. Ich bin auf Expedition ein bekennender Yeti, lasse die Rasierklinge also ungenutzt. Wahrscheinlich werde ich mich aber heute wieder waschen, wenn die Gelegenheit dazu besteht. Doch viel mehr als Zähneputzen, Händewaschen und Gesichtspflege ist in der Regel nicht möglich. Es sei denn am Ruhetag wird das Duschzelt aufgebaut.
Gießkanne aus der Puppenstube
Das Küchenteam hat einen Plastiksack mit lauwarmen Wasser gefüllt. Der Sack hängt am First des kleinen Duschzeltes. Aus ihm führt ein dünner Schlauch heraus, dessen Ende einen Miniaturduschkopf bildet. Wenn du jetzt die Schlauchklemme löst, ergießt sich über dich ein Wasserstrahl der Größe, als würdest du die Gießkanne einer Puppenstube benutzen. Eigentlich zu wenig, aber dein Gehirn signalisiert dir: Du bist sauber, hast den Dreck der vergangenen Tage abgespült.
„Das gibt dir ein ganz neues Lebensgefühl!“, schwärmt Joachim, als er vor mir das Duschzelt verlässt. Ich mache die gleiche Erfahrung. Dabei ignoriere ich ganz einfach, dass mein weißes Handtuch nach dem Abtrocknen leicht bräunlich verfärbt ist. Verglichen mit vorher bin ich sauber – relativ. Womit wir bei Einstein angekommen wären.
Morgen Dreck von gestern
„Marianne und ich brauchen keine Dusche.“, erklärt Angelique mit einem verschmitzten Grinsen, „Wir haben ein Selbstreinigungssystem.“ Das ist dann wohl die niederländische Variante der speziellen Relativitätstheorie. Zu hoch für mich. Morgen wird ohnehin wieder alles Dreck von gestern sein. Dann steigen wir zunächst in Lager 1 auf, übernachten dort, richten Lager 2 auf etwa 6300 Metern ein und kehren übermorgen ins Basislager zurück – verschwitzt und müde, nicht relativ, sondern absolut.