Alles im Griff? Bullshit!
Irgendetwas habe ich falsch gemacht. Der Mann ist zwei Jahre jünger als ich und spricht schon von Altersweisheit. Stefan Glowacz zwinkert dabei allerdings deutlich sichtbar mit dem Auge. Ich habe den 46-Jährigen gefragt, ob er gut verlieren kann. Früher, als er noch Wettkämpfe im Sportklettern bestritt, habe er sich schon über einen zweiten Platz geärgert, sagt Stefan. Inzwischen habe er jedoch gelernt, mit Niederlagen umzugehen: „Vielleicht hat das – zumindest strenge ich mich an – mit Altersweisheit zu tun.“ Oha. Ich glaube ja eher, dass einem Bergsteiger gar nichts anderes übrig bleibt, als auch verlieren zu können.
Die Butter vom Brot geholt
Stefan Glowacz ist in seiner langen Karriere als Abenteurer mehrmals gescheitert – zuletzt in diesem Frühjahr am 7134 Meter hohen Gauri Shankar in Nepal. Mit David Göttler hatte er die mächtige Südwand durchklettern wollen. Doch eigentlich ging alles schief. Die Wand war immer noch in winterlichem Zustand, täglich schneite es. Nur 20 Meter weit stiegen die beiden in die Route ein, dann war Ende im Gelände. Sie gaben auf. „Der entscheidende Grund war nicht das Wetter sondern, dass ich der Sache emotional noch nicht gewachsen war“, räumt Stefan ein. „Die Wand hat mich echt erschreckt. So ein Bollwerk, so schwierig. Die hat mir sauber die Butter vom Brot genommen.“
Audio: Die Wand hat mich echt erschreckt
„Bergsteigen aus dem Mittelalter“
Glowacz wird wohl noch einmal zum Gauri Shankar zurückkehren. „Ich muss da noch einmal hin, um zu sehen, ob es meine Einstellung war, die mich scheitern ließ, oder ob der Krug des Höhenbergsteigens tatsächlich an mir vorübergeht.“ Bisher hatte Stefan immer einen Bogen um die Bergriesen des Himalaya gemacht – nach eigenen Worten, weil er sich nicht mit dem dort üblichen Expeditionsstil abfinden konnte. „Eigentlich ist das doch Bergsteigen aus dem Mittelalter. Aber in diesen sauren Apfel muss ich wahrscheinlich noch einmal beißen.“ Schließlich sei das Höhenbergsteigen die einzige Disziplin des Alpinismus, an der er sich noch nicht versucht habe.
Audio: Der Romantiker, der seine Träume lebt
Kanu, Segelboot oder Ski statt Hubschrauber
Glowacz gehörte Ende der 1980er Jahre zur Weltelite der Sportkletterer. Dreimal holte er sich in Arco in Norditalien den Titel des Rock Master, so etwas wie die inoffizielle Weltmeisterschaft der Sportkletterer. 1993 beendete Stefan seine Wettkampfkarriere und wurde Profi-Abenteurer. Die Ziele: eher unbekannte, schwer zugängliche Felswände in Kanada, Grönland, Patagonien, Venezuela oder der Antarktis. Die Idee: Schon der Anmarsch wurde ins Abenteuer mit einbezogen. Glowacz paddelte, segelte oder fuhr mit Skiern und Schlitten zu den Bergen in entlegenen Regionen. „Der bewusste Verzicht auf künstliche Hilfsmittel zur Fortbewegung ist für mich die Weiterentwicklung im modernen Expeditionsbergssteigen.“
Audio: Der Tod gehört zum Bergsteigen dazu
Kurts Tod als Warnsignal
Stefan bezeichnet sich selbst als notorischen Romantiker. „Letztendlich lebe ich jetzt meine Träume. Wer hat schon dieses Glück?“ Dass der Grat, auf dem er sich bewegt, schmal ist, weiß Glowacz nicht erst seit dem tödlichen Absturz seines Freundes und oftmaligen Kletterpartners Kurt Albert vor einem Jahr. „Es gibt so viele Situationen, die bei mir haarscharf ausgegangen sind, obwohl ich dachte, ich hätte alles im Griff. Stimmt gar nicht, Bullshit.“ Kurts Tod an einem eher leichten Klettersteig im Frankenjura bezeichnet Glowacz als „Warnsignal“. Die meisten Unfälle seien auf menschliches Versagen, also vermeidbare Fehler zurückzuführen. Die Konsequenz müsse lauten, auch Prozesse, die Routine seien, zu hinterfragen: „Habe ich mich eingebunden? Ist mein Gurt geschlossen? Hat mein Partner das Seil richtig ins Sicherungsgerät gelegt? Das ist eine Checkliste, die ich immer wieder abarbeiten muss.“ Profi hin oder her.
P.S. Das vollständige Gespräch mit Stefan könnt ihr hier unten nachhören.