Servus vom Fuß der Zugspitze
Ich bin’s, der Stein von der tiefsten Stelle Deutschlands. In einem dunklen Winkel einer Satteltasche bin ich quer durch Deutschland geradelt worden. 71 Stunden und 16 Minuten reine Fahrzeit liegen hinter mir, in denen ich manchmal ganz schön durchgeschüttelt wurde. Einmal waren wir 46,81 Stundenkilometer schnell. Gott sei Dank haben wir Steine keinen Magen, sonst wäre mir sicher schlecht geworden. Steht ihr auf Statistik? Na dann.
Bis auf 869 Meter
Stefan ist in den vergangenen zehn Tagen 1113 Kilometer weit gefahren, im Schnitt 15,6 Stundenkilometer schnell. Den höchsten Punkt passierten wir heute: den Ettaler Sattel, 869 Meter über dem Meeresspiegel, also 873 Meter höher als mein Heimatort Neuendorf-Sachsenbande nahe Itzehoe. Wie viele Höhenmeter mein Spediteur und ich insgesamt zurückgelegt haben, kann ich euch leider nicht sagen. Stefan ist technisch nicht immer auf dem allerneuesten Stand. Seinen Drahtesel hat er auf einem Gebrauchtmarkt erstanden, die Satteltaschen sind dreißig Jahre alt und undicht. Ein hoffnungsloser Fall von einem Romantiker eben.
Gesellschaft bekommen
Geflucht hat er aber nicht zu wenig bei unserer Deutschland-Tour. Vor allem wenn es Stefan wieder einmal irgendwo zwickte, ob in den Waden, im Knie oder sonst wo. Oder wenn ein Anstieg so steil war, dass er absteigen musste. Er ist halt nicht mehr der Jüngste. Die heutige letzte Etappe war mit 97 Kilometern vergleichsweise kurz. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel. Etwa auf halber Strecke, an der Echelsbacher Brücke, erhielten wir Gesellschaft. Andreas, ein sehr guter Freund Stefans seit der Schulzeit, stieß dazu. Er macht derzeit Urlaub im Allgäu und begleitete uns heute mit dem Fahrrad bis nach Garmisch-Partenkirchen. Das hat meinem Spediteur richtig gut getan. Er vergaß fast die Zeit, fluchte deutlich weniger und erreichte das Ziel schneller als gedacht. Auf dem Campingplatz in Grainau warteten bereits Stefans Sohn Jan und dessen Freunde Felix und Justus. Die drei wollen mit Stefan und mir auf den Gipfel der Zugspitze.
Morgen auf die Reintalangerhütte
Stefan hat mich nach der Ankunft ausgepackt, um mich den anderen vorzustellen. Bei der Gelegenheit konnte ich einen kurzen Blick auf die Zugspitze werfen. Schöner Berg – bis auf die Seilbahnstützen. Aber die Aussicht von oben ist sicher grandios. Ich kann mir gut vorstellen, dort bald herumzuliegen. Morgen ziehe ich um, von der Satteltasche in Stefans Rucksack. Die Wettervorhersage ist nicht so toll. Es soll regnen. Mir egal, ich habe es ja trocken. Die vier Bergsteiger wollen bis zur Reintalangerhütte aufsteigen, dort übernachten und dann am Donnerstag – hoffentlich bei besserem Wetter – versuchen, den Gipfel der Zugspitze zu erreichen. Ich bin ganz schön aufgeregt. Keine alltägliche Reise für einen Stein aus dem hohen Norden.
P.S. Wahrscheinlich wird es im Reintal nicht möglich sein, eine Internetverbindung zu bekommen. Ihr müsst euch also voraussichtlich bis Donnerstag gedulden.