More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Zugspitze zugespitzt

Unterwegs im oberen Reintal

Tief über seine etwas kurz montierten Wanderstöcke gebeugt, steigt er uns entgegen, etwas wacklig, aber doch recht zügig. Als wir auf einer Höhe sind, hebt er den Kopf, um zu grüßen. Ich schätze ihn auf 80 Jahre, wenn nicht sogar älter. Er lebe auf einem Bauerhof oberhalb der Partnachklamm, erzählt mir der Senior, an seiner Seite läuft ein Schäferhund. „Mal sehen, vielleicht steigen wir noch ein bisschen höher. Der Hund muss bewegt werden.“ Wir begegnen uns auf rund 1000 Metern, nicht weit vom Eingang des Oberen Reintals im Zugspitzgebiet entfernt.

Letzte Sonnenstrahlen am Partnach-Lido

Die Reintalangerhütte

Zum dritten Mal besteige ich die Zugspitze, den höchsten Berg Deutschlands, über den langen, aber landschaftlich sehr reizvollen Weg durch das Reintal. Immer wieder bin ich beeindruckt von der beeindruckenden Felskulisse auf beiden Seiten des Tals. Wir übernachten auf der 1369 Meter hohen Reintalangerhütte, genießen vorher jedoch noch bei einem Radler die letzten zwei Sonnenstunden des Tages am „Partnach-Lido“, dem Bach-„Strand“ direkt vor der Hütte. Die wurde bereits 1912 errichtet und hat sich den Charme einer alten Alpenvereinshütte bewahrt: sehr einfach, aber auch gemütlich.

Beim Eisklettern tödlich verunglückt

Eine Tragödie liegt jedoch in diesem Jahr wie ein Schatten über der Reintalangerhütte. Der Hüttenwirt verunglückte Anfang Juni beim Eisklettern tödlich. Ein Schwarz-Weiß-Bild mit einer Kerze davor erinnert an den 51-Jährigen. Seine Frau und Kinder wollen die Hütte im Sinne des Verstorbenen weiterführen.

„Daumen drücken!“

Das Küchenteam hat jede Menge zu tun. Das schöne Herbstwetter hat viele Zugspitz-Gipfelanwärter ins Reintal gelockt. Am Nebentisch liest eine Frau laut die Routenbeschreibung vor. Offenkundig will sie mit ihrem Mann und zwei Senioren – ich vermute, dass es sich um ihre oder seine Eltern handelt – ebenfalls den höchsten Berg Deutschlands erklimmen. Bereits um 20 Uhr verabschiedet sich das Quartett Richtung Schlafräume. „Daumen drücken!“, verkündet die Seniorin mit etwas skeptischem Tonfall zum Abschied.

Wer schnarcht, hat gewonnen

Letzter Schutthügel vor dem Anstieg zum Gipfel

Wir fühlen uns noch nicht müde genug und gönnen uns ein weiteres Bier. Gegen 22.30 Uhr schleichen wir uns ins gut belegte Matratzenlager. Dort wird bereits um die Wette geschnarcht. Einschlafen unmöglich. Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal noch ein Bier mehr zu bestellen. Irgendwann nicke ich dann aber doch ein – bis 5.30 Uhr. Der erste Handywecker klingelt. Auch ich bin jetzt eigentlich wach, döse aber noch eine Stunde vor mich hin. Nach dem Frühstück brechen wir um 7.45 Uhr auf.

Wie ein Käfer auf dem Rücken

Was für ein herrlicher Gipfeltag! Keine Wolke trübt den Himmel. Zwei Stunden später erreichen wir die Knorrhütte auf 2051 Metern. Kurz davor überholen wir das Frühschläfer-Quartett. Der Senior stolpert, es gelingt ihm nur mit äußerster Mühe, im Geröll wieder auf die Beine zu kommen. Der geschätzt über 70-Jährige strampelt mit den Füßen – wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt. Keine gute Idee, diese Senioren mit auf die Zugspitze zu nehmen, denke ich mir. Eine Wanderung im Tal wäre sicher angemessener gewesen.

Stau wie am Hillary-Step

Nicht nur am Everest …

Ob dieses Quartett den höchsten Punkt erreicht hat, weiß ich nicht. Wir treffen die Vierergruppe auf unserem weiteren Weg jedenfalls nicht mehr. Über einen Kräfte zehrenden Schutthügel und einen kleinen versicherten Felssteig erreichen wir schließlich zur Mittagszeit das Gipfelhaus. Dort empfängt uns eine Menschenmenge wie beim Sommerschlussverkauf. Mit unseren Rucksäcken kommen wir in dem Gedränge kaum noch vorwärts.  In unseren verstaubten Bergschuhen wirken wir wie Exoten unter all den Bergbahn-Touristen, die Turnschuhe oder Sandalen tragen. Die letzten paar Meter von der Besucherplattform hinauf zum Gipfelkreuz schenken wir uns. An der Leiter staut es sich wie einst am Hillary-Step – als es die Felsstufe am Mount Everest noch gab. Was wohl der 80-Jährige, dem wir knapp 2000 Meter tiefer begegneten, zu dem Massenauflauf hier oben sagen würde? Vielleicht: „Der Hund muss bewegt werden.“

Datum

17. September 2018 | 17:13

Teilen