Botschafter zeitloser Bergsteiger-Werte
Der Mann heißt Steve und ist Fisch wie ich. Neben Vorname und Sternzeichen verbindet uns die Liebe zu den Bergen. Dann aber hören die Gemeinsamkeiten auf. Denn Steve Swenson hat im Gegensatz zu mir als Bergsteiger einzigartige Spuren hinterlassen – und ist auch mit mittlerweile 58 Jahren noch nicht am Ende seiner Karriere angelangt. 2012 wurden der US-Amerikaner aus Seattle und seine Landsleute Mark Richey und Freddie Wilkinson für ihre Erstbesteigung des 7518 Meter hohen Saser Kangri II in der Region Kaschmir mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet, dem „Oscar der Bergsteiger“. Bereits 1990 hatte Swenson mit Greg Child und Greg Mortimer den K 2 über den Nordgrat bestiegen. Vier Jahre später kehrte er den Achttausendern den Rücken. Nach seinen Erlebnissen 1994 am Mount Everest hatte er von den „Prestigebergen“ die Nase voll.
Allein und ohne Atemmaske
„Ich habe am Everest so viel Enttäuschendes erlebt“, erzählt mir Steve, als ich ihn am Rande des International Mountain Summit in Brixen treffe. „Ich sah im Basislager Leute, die auf eine Weise am Berg unterwegs waren, die nicht mit meinen Werten vereinbar war.“ Swenson hatte gerade mit seinem Freund Alex Lowe und einigen anderen US-Bergsteigern vergeblich versucht, den höchsten Berg über die gefährliche Ostwand, die Kangshung-Flanke, zu besteigen. Wegen zu großer Lawinengefahr mussten sie ihren Versuch abbrechen. Hier das von David Breashears gedrehte Video:
Steve wechselte auf die Nordseite des Bergs und erreichte den 8850 Meter hohen Gipfel über die tibetische Normalroute: alleine und ohne Atemmaske aufsteigend. Was er bei den kommerziellen Expeditionen sah, verdarb ihm für die Freude an den Achttausendern.
Eigenverantwortung, Hilfsbereitschaft, Umweltbewusstsein
Er habe kein grundsätzliches Problem mit dem „full-supported style“, sagt Steve, also mit dem „all inclusive“ des Höhenbergsteigens: Fixseile, Hochlager, Flaschensauerstoff und Unterstützung durch Sherpas. „Man könnte in jedem Stil klettern, wenn man die zeitlosen Werte achtet, die Bergsteiger über Hunderte von Jahren vertreten haben.“ Doch genau daran habe es den zahlenden Kunden schon 1994 gemangelt: „Dass du die Verantwortung für dich selbst übernimmst. Dass du anderen Leuten hilfst, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Echte Partnerschaft mit deinen Freunden, in der du mehr für sie als für dich selbst tun würdest. Stärke, weil du weißt, dass du manchmal leiden musst. Umweltbewusstsein in den Bergen, dass du keinen menschlichen Abfall, Müll, Seile oder Zelte am Berg zurücklässt.“
Steve Swenson über seinen Entschluss, die Achttausender zu meiden
Nicht sehr kreativ
Steve verzichtete einige Jahre lang fast vollständig auf Expeditionen, um mit seiner Frau Ann die beiden Söhne Lars und Jed groß zu ziehen. Ab 2003 startete Swenson dann wieder durch. Ihm gelangen Erstbegehungen schwierigster Routen an Fünf-, Sechs- und Siebentausendern, vor allem im Karakorum. „In Pakistan werden Jahr für Jahr bis zu 70 Genehmigungen für Expeditionen ausgestellt, davon sind dann 65 für die Achtertausender Gasherbrum I und II, Broad Peak und K 2. Vier Berge in einem Land mit Tausenden von Gipfeln.“ Steve schüttelt den Kopf. „Viele Kletterer machen nur das, was alle machen. Sie denken nicht sehr kreativ. Wenn wir uns auf den wahren Entdeckergeist besinnen, können wir einen besseren Job machen, neue Dinge wagen, und dabei auf die grundlegenden Werte achten.“
Mit Husten auf den Gipfel
Wie am Saser-Kangri II, dem bis dahin zweithöchsten unbestiegenen Berg der Welt – der höchste, der Gangkhar Puensum (7570 Meter) liegt in Bhutan und ist für Bergsteiger gesperrt. 2009 war Steve am Saser-Kangri II noch gescheitert, zwei Jahre später erreichte er mit seinen beiden Partnern Mark Richey und Freddie Wilkinson im Alpinstil den Gipfel – und das obwohl ihn eine starke Bronchitis so stark schwächte, dass er anschließend mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden musste. Ich frage Steve, ob er wegen seiner Krankheit nicht eigentlich hätte umkehren müssen. Er habe den Husten unterschätzt, räumt Swenson ein. „Hätte ich rauf- oder runtergehen sollen? Ich kann das nicht eindeutig beantworten. Das hängt ganz von dem Tag ab, an dem du mich fragst.“
Oldie but Goldie
Dass er für diese Besteigung den Piolet d’Or, den Goldenen Eispickel, erhielt, empfindet Steve als „große Ehre, weil die Bergsteiger, die den Preis vergeben, dieselben Werte vertreten wie ich. Ich verstehe mich als Botschafter dieser Ideale.“ Swenson taugt auch als Oldie-but-Goldie-Botschafter der Generation Ü 50. „Ich glaube, die Leute können auch im Alter sehr fit bleiben, wenn sie hart trainieren“, sagt Steve. „Aber viele geben zu früh auf. Sie erreichen ein bestimmtes Alter und sagen, ich will das nicht mehr machen. Es ist nicht, weil sie es nicht mehr können, sondern weil sie es nicht mehr wollen oder tun.“ Na, das ist doch ein Wort zum Sonntag, oder?