Steinschlag
„Deppen!“ Unsere Wirtin Maria sprach aus, was ich gedacht hatte. Als wir gestern über den Winkelkar-Steig zur 1997 Meter hohen Pyramidenspitze im Zahmen Kaiser aufstiegen, hagelte es Steine. Schon vor dem Einstieg ging die erste Salve nieder. Von weiter oben rief eine Frau herunter: „Alles in Ordnung, ich lebe noch! Aber es war knapp!“ Direkt vor uns kramte daraufhin ein älterer Bergwanderer aus seinem Rucksack einen violettfarbenen Helm aus, der zwar eher wie der Fahrradhelm seiner Enkelin aussah, aber immerhin ein wenig Schutz versprach. „Da müssen wir wohl aufpassen“, sagte mein Sohn. „Auf die da oben kannst du leider nicht aufpassen“, antwortete der Senior. Zum fünften Mal stieg ich auf diesem Weg zur „Pyramide“ auf, bisher hatte ich eigentlich nie das Gefühl, dort besonders gefährdet zu sein. Und so dachte ich mir, zweimal wird es schon nicht passieren.
Im Kanonenrohr
Kaum waren wir im gesicherten Steig, prasselten die nächsten Steine herunter. Weit genug entfernt, dass wir uns ernsthaft Sorgen machten. Schließlich müssten doch die da oben irgendwann einmal nach links Richtung Gipfel queren. Wir stiegen weiter. Ich konzentrierte mich auf den Steig und machte mir, ehrlich gesagt, keine großen Gedanken darüber, dass sich der Steinschlag erneut wiederholen könnte. Dass einmal ein Stein fliegt, mag vorkommen, zweimal vielleicht auch noch, aber doch nicht dreimal. Wir erreichten das „Kanonenrohr“, eine Rinne, in der wir Fluggeschossen relativ schutzlos ausgeliefert wären. Plötzlich hörte ich dieses unheilvolle Knirschen, ich starrte nach oben. Und da kamen sie schon geflogen, zwei faustgroße Steine. Rasend schnell ging das, und doch hatte ich das Gefühl, die Situation wie in Zeitlupe zu erleben. Stehen bleiben? Einen Schritt zur Seite springen? Ich entschied mich dafür zu verharren. Etwa einen Meter von mir entfernt sausten die Geschosse talwärts.
Mit zitternden Knien
Zum Durchatmen blieb keine Zeit, denn ein dritter Stein kam geflogen. Er raste in Richtung meines Sohns, der relativ gut schützt an einem Felsen stand. „Achtung!“, konnte ich gerade noch brüllen. Mein Sohn lehnte sich nahe an den Felsen. Der Stein sprang in hohem Bogen über ihn hinweg. Das war knapp! Unsere Schutzengel hatten ganze Arbeit geleistet, uns beiden zitterten die Knie. Erst als wir eine halbe Stunde später den Gipfel erreichten, ließ die Anspannung nach. Wir vermuten, dass drei Bergsteiger, die oberhalb des Steigs in Richtung der nahe gelegenen Jofenspitze unterwegs waren, die Steine losgetreten haben. Sie wirkten auf uns ziemlich orientierungslos und unsicher im steilen Gelände. Aber waren sie wirklich die Schuldigen? Wer wirft den ersten Stein auf die, die vermeintlich für den Steinschlag verantwortlich waren?
Mein Sohn und ich sind uns einig: Sollten wir noch einmal diesen Steig in Angriff nehmen, werden wir früher starten und einen Kletterhelm tragen. Wir hatten die „alpinen Gefahren“ unterschätzt, vor denen weiter unten gewarnt worden war. Zu denen gehören eben auch Bergsteiger, die nicht nur einmal, sondern vielleicht auch innerhalb kürzester Zeit dreimal Steine lostreten. Deppen eben.