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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Begegnungen im Nebel über Brixen

Wetter zum Schuhe an den Nagel hängen

Frei nach Platon: Ich sehe, dass ich nichts sehe. „Das ist ja wie bei uns in London“, meint mein englischer Kollege Chris, nachdem wir uns vor dem dichten Nebel und dem kalten Wind in die auf 2446 Metern gelegene Plosehütte geflüchtet haben und durch das Fenster in die trübe Wolkensuppe blicken. Keine Spur von dem Panorama, das wir noch am Vortag bei der IMS-Wanderung zum selben Ziel, der Pfannspitze, genossen haben. Als wir auf den Bergrücken steigen, der zum Gipfel führt, bläst uns ein eisiger Wind ins Gesicht und mir meinen Tirolerhut beinahe vom Kopf. Gerade noch kann ich ihn vor dem Abflug ins graue Nichts bewahren. An Interviews mit den bekannten Bergsteigern, die uns heute begleiten, ist hier oben nicht zu denken. Und auch das Gipfelkreuz schenken wir uns diesmal.

Auf geht’s zu den großen Wänden

David Lama

Als wir später auf der Rossalm einkehren, reißt die Wolkendecke wenigstens einmal kurz auf. Doch als ich mit David Lama zu einer Bank oberhalb der Hütte aufsteige, um in Ruhe mit ihm zu sprechen, hüllt uns erneut dichter Nebel ein. Davids Vater stammt aus dem Khumbu, dem Gebiet um den Mount Everest, seine Mutter ist Österreicherin. Eines Tages wolle er auch dort klettern, verrät mir der 23 Jahre alte Innsbrucker: „Ich möchte auf jeden Fall irgendwann herüber, weil es dort tolle Berge mit fantastischen Linien gibt, die noch nie geklettert wurden. Das reizt mich. Und zusätzlich habe ich eben noch den persönlichen Bezug.“ Als Sportkletterer hat David schon im Kindesalter für Schlagzeilen gesorgt. „Heute sehe ich mich eher als Alpinist“, sagt Lama und fügt mit einem verschmitzten Lächeln hinzu: „Und auch ein bisschen als Bergsteiger“. 2012 hat er mit der Chogolisa in Pakistan seinen ersten 7000er bestiegen. „Das war ein extrem lässiges Erlebnis, dort oben über den Gipfelgrat zu steigen“, erinnert sich David. Aber eigentlich sei diese Expedition nur die Vorbereitung für extremere Projekte gewesen. „Mein Ziel ist es, hohe und schwierige Wände zu klettern.“ Wir werden also von David hören. Im nächsten Sommer reist er erneut in den Karakorum.

Kurze Zeltnacht im Foyer

Ungewöhnlicher Biwakplatz

Steilste Wände klettern war auch immer die Leidenschaft von Stefan Glowacz und ist es geblieben. „Für mich ist eine schwere Wand und eine Erstbegehung darin immer noch ein Hauptkriterium einer Expedition“, sagt der 48 Jahre alte deutsche Spitzenkletterer. „Aber ich kann mir inzwischen auch vorstellen, irgendwann einmal irgendein entlegenes Gebiet nur zu durchqueren.  Der Abenteueraspekt bekommt für mich eine immer größere Bedeutung, auch die fremden Kulturen und das Zusammenleben mit den Menschen in diesen Gebieten.“  Zum alten Eisen zählt sich Stefan noch nicht, auch wenn ihm das kürzlich eine Ärztin einreden wollte. „Sie hat gesagt: Was wollen Sie denn? Jeder andere Hochleistungssportler in Ihrem Alter ist schon völlig fertig und kriegt seine Flügel gar nicht mehr hoch. Das hat mich schon entsetzt, denn ich habe noch einiges vor.“ So will er im nächsten Jahr in Oman und auf Borneo klettern. Dass Stefan durchaus noch über Durchhaltevermögen verfügt, hat er in der Nacht zuvor auch beim „Abklettern“ des IMS bewiesen. Erst um sechs Uhr früh überkam ihn die Party-Müdigkeit. Kurzerhand legte sich Glowacz in einem kleinen Sponsoren-Zelt im Foyer aufs Ohr. Nur für eine Stunde, dann weckte ihn die Putzkolonne mit ihren Staubsaugern.

Everest ein „geiler Gedanke“

Andy Holzer (l.) und Stefan Glowacz

In der gleichen Bergsteiger-Altersklasse wie Stefan spielt auch Andy Holzer. Der 47 Jahre alte Österreicher ist seit seiner Geburt blind und klettert dennoch durch Wände und auf hohe Gipfel. Sechs der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, hat der Osttiroler schon bestiegen. Nur der Everest fehlt ihm noch. Einen konkreten Plan, auch den höchsten aller Berge zu erklimmen, gebe es nicht, sagt Andy, aber reizen würde es ihn schon. „Das ist ein geiler Gedanke. Ich glaube, wer die Tränen in den Augen nicht verspürt, wenn er den Hillary-Step hinaufsteigt und die letzten Meter zum höchsten Punkt der Erde geht, der hat auf keinem Berg etwas verloren.“ Holzer ist sich bewusst, dass für ihn die verbleibende Zeit für eine Everest-Besteigung langsam, aber sicher abläuft. Schließlich müsse er ohne Stirnlampe, also in vollkommener Dunkelheit zur letzten Etappe starten, sagt Andy. Das sei von der Leistungsbilanz und vom Stoffwechsel her eine ganz andere Nummer. „Da hast du mit 50 wahrscheinlich nichts mehr verloren. Ich bin wahrscheinlich jetzt schon an der Kippe. Das ist einfach für einen Blinden ein anderer Berg als für einen Sehenden. Darüber brauchen wir überhaupt nicht zu diskutieren.“

P.S. Ich hoffe ich habe euch jetzt neugierig gemacht. Denn auch über Andy, Stefan und David werdet ihr bald nach meiner Heimkehr hier im Blog mehr lesen können. Und das ist noch längst nicht alles. Die Ernte beim IMS in Brixen war wieder einmal ertragreich.  😉

Datum

21. Oktober 2013 | 2:40

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