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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Hut ab vor Caldwell und Jorgeson!

Tommy Caldwell in der Dawn Wall

Tommy Caldwell in der Dawn Wall

Es ist einfach, auf einen Zug zu springen, der schon im Bahnhof steht. Der Kletterzug von Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson rollt jedoch noch. Zug um Zug um Zug Richtung Gipfel des legendären Granitfelsens El Capitan im Yosemite Valley. Seit dem 27. Dezember, also seit zweieinhalb Wochen, klettern und hängen die beiden US-Amerikaner in der etwa 900 Meter hohen, meist senkrechten, teilweise überhängenden „Dawn Wall“ (Wand der Morgendämmerung). Die Südostwand des El Cap heißt so, weil sie die ersten Sonnenstrahlen des Tages einfängt. Caldwell und Jorgeson sind auf dem besten Wege, die extrem schwere Route erstmals frei kletternd zu meistern. Sprich, sie nutzen Seile, Haken und Klemmkeile wirklich nur, um sich abzusichern, nicht um sich mit deren Hilfe aufwärts zu bewegen. Eigentlich soll man ja auch den Klettertag nicht vor dem Abend loben. In diesem Fall aber mache ich – quasi am späten Nachmittag – eine Ausnahme und ziehe tief den Hut vor Tommy und Kevin.

Sturzfrei nach elf Versuchen

Nach übereinstimmender Einschätzung der Experten liegen die größten Schwierigkeiten der „Dawn Wall“ hinter dem 36 Jahre alten Caldwell und dem 30 Jahre alten Jorgeson. Allein sieben Tage lang biss sich Jorgeson die Zähne an „pitch 15“ aus, dem 15. von 32 Abschnitten der Route. Elf Versuche benötigte er, um schlussendlich doch noch sturzfrei durchzukommen. Caldwell war das bereits einige Tage früher gelungen. Er wartete geduldig, bis auch sein Kumpel die Passage im oberen zehnten bis unteren elften Grad gemeistert hatte.

„Es war eine so intensive und unglaubliche Erfahrung, Zeuge dieser Leistung zu werden“, schreibt Tommy auf Facebook. Kevin war nach eigenen Worten absolut am Limit: „Ich musste meine ganze Kraft aufbringen, um weiter positiv zu denken und an den Erfolg zu glauben“. Das glückliche Ende ist jetzt in greifbarer Nähe. Irgendwann zwischen Donnerstag und Sonntag werden Caldwell und Jorgeson am Wandausstieg erwartet.

Thomas Huber: „Irre!“

Thomas-Huber

Thomas Huber

„Ich hoffe, sie haben Glück mit dem Wetter“, schreibt mir der deutsche Topkletterer Thomas Huber, der in seiner Karriere mit seinem Bruder Alexander viele Glanzlichter im Granit des Yosemite gesetzt hat. Thomas verfolgt begeistert das Projekt der beiden Amerikaner. „Ich finde es irre, und es würde mich so freuen, wenn sie ihr Lebensprojekt abschließen können. 8 Jahre!!!!! Das ist Motivation!“ So lange basteln Caldwell und Jorgeson schon an ihrem Traum, die „Dawn Wall“ zu „befreien“. Erstmals durchklettert wurde sie 1970: Der legendäre Warren Harding und Dean Caldwell (nicht verwandt mit Tommy) benötigten 28 Tage, um sich mit technischer Kletterei durch die Wand zu kämpfen. Das sagt eigentlich alles über die Schwierigkeit der Route.

Der User klettert mit

Kevin Jorgeson (l.) freut sich - und wird gefilmt

Kevin Jorgeson (l.) freut sich – und wird gefilmt

Diese Pioniertat am El Capitan sorgte schon damals in den USA für Furore über die Kletterszene hinaus. Heute jedoch ist die ganze Welt digital zu Gast im Yosemite. Fast täglich posten Caldwell und Jorgeson Bilder und kurze Texte über Facebook, Twitter oder Instagram, dazu (s.o.) gibt es Videos bei YouTube. Kameraleute hängen mit in der Wand. „Das ist jedem selbst überlassen“, antwortet Thomas Huber auf meine Frage, was er von der intensiven medialen Begleitung des Projekts hält. „Ich bin auch auf Facebook, würde aber bei einem Abenteuer keinen Blog durchziehen. Da bin ich lieber ‚old fashion‘. Ich glaube, vom Marketing her ist es sogar besser, die Leute neugierig zu machen und wenn es geschafft ist, alles perfekt aufzubereiten. Und dann Booom …!“

P.S.: Hier geht es zum Live-Stream von gripped.com – wenn er denn läuft 😉

Datum

13. Januar 2015 | 15:35

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