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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Traurige Liste

Wingsuit_1Ein Zischen, ein grüner Blitz, vorbei. Als ich vor einigen Wochen mit den Skiern am 2550 Meter hohen Brevent oberhalb von Chamonix eine kleine Pause machte, flog, nein, schoss ein Basejumper im grünen Wingsuit über mich hinweg talwärts. Wie eine Fledermaus mit Düsenantrieb. Ich räume ein, dass ich einerseits fasziniert war. Andererseits fragte ich mich, ob bei diesem Extremsport das Risiko wirklich noch kalkulierbar ist. Je nach Gelände genügt eine unerwartete Windböe von der Seite und das Leben des Springers endet an einem Felsvorsprung.

Nummer 256

So wie am vergangenen Samstag die Leben der beiden US-Amerikaner Dean Potter und Graham Hunt. Die beiden starben – wie berichtet – bei einem Wingsuit-Flug vom knapp 2300 Meter hohen Taft Point im Yosemite-Nationalpark. Potter hatte immer wieder mit extrem gefährlichen Projekten für Schlagzeilen gesorgt: ob er nun free solo (also im Alleingang und ohne jede Art von Hilfsmitteln) kletterte, ohne Absicherung auf einer Highline zwischen zwei Felsnadeln balancierte oder eben mit einem Wingsuit von einer Felsklippe sprang. Potter ist die Nummer 256 auf der Todesliste der Basejumper, die seit 1981 geführt wird.

Allein seit 2010 kamen 111 Springer ums Leben, die Zahl der Toten bewegte sich in diesem Zeitraum zwischen 15 und 25 pro Jahr. Auch eine Statistik wird mitgeliefert: Danach starben 71,5 Prozent aller Basejumper bei Sprüngen von Felswänden, 12 Prozent der Opfer waren von Antennenmasten, zehn Prozent von Gebäuden gesprungen. Häufigste Todesursache war in 38 Prozent der Fälle, dass sich die Fallschirme nicht geöffnet hatten. 30 Prozent der tödlich verunglückten die Springer prallten gegen Felswände. Gut ein Drittel der Opfer (35,5 Prozent) trugen Wingsuits. Die Fluganzüge sind erst seit etwa zehn Jahren im Einsatz.

Nummer 254

Wingsuit_2Auf der traurigen Liste stehen auch die Namen von zwölf Deutschen. Erst am vergangenen Donnerstag, gerade einmal zwei Tage vor Potter und Hunt, starb ein deutscher Basejumper (der nicht im Wingsuit sprang) beim Sprung von Monte Brento in Italien. Warum sich sein Schirm nicht öffnete, ist unklar. Möglicherweise hat er sich einfach nur verschätzt. Er wurde nur 25 Jahre alt. Jetzt steht er auf Nummer 254 der Todesliste.

Unweigerlich hohe Todesrate?

Immer wieder wird nach tödlichen Unfällen der Ruf nach einem Verbot dieser Extremsportart laut. Vor anderthalb Jahren fragte ich den Wingsuit-Flieger Alexander Polli, was er davon halte. „Es ist fast unmöglich ist, so etwas mit Verboten zu regeln. Sollen wir jetzt am Absprungort auf dem Berg einen Kontrollposten für die Sicherheit einrichten? Ja, du kannst springen! Nein, du darfst nicht!“, antwortete Polli und lachte.

Eigentlich, findet Bergsteiger-Legende Chris Bonington, unterscheiden sich Basejumper in puncto Motivation kaum von Extrembergsteigern. „Du hast die Adrenalin-Junkies – und das sind wir wirklich – die suchen das Extreme und schieben ihre Grenzen so weit wie möglich hinaus“, sagte mir der 80 Jahre alte Brite kürzlich. „Da muss es doch fast unweigerlich eine hohe Todesrate geben. Und es gibt sie tatsächlich unter den Extrem-Höhenbergsteigern, genauso wie unter den Basejumpern oder Wingsuit-Fliern. Ich glaube nicht, dass sich diese Menschen nach dem Tod sehnen. Vielmehr erleben sie eine Euphorie dabei, ihren Körper und sich selbst ans absolute Limit zu bringen, um ein Ziel zu erreichen.“

Datum

19. Mai 2015 | 17:37

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