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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Baumann: „Familien der Everest-Lawinenopfer brauchen Hilfe“

Baumann bei der Familie des Lawinenopfers Chhiring Sherpa

Baumann bei der Familie des Lawinenopfers Chhiring Sherpa

Das Bergsteigen am Mount Everest ruhte an diesem Samstag. Die mehr als 300 westlichen Bergsteiger und ebenso viele Sherpas gedachten im Basislager auf 5300 Metern der 16 Nepalesen, die vor genau einem Jahr bei einer Lawine im Khumbu-Eisbruch ums Leben gekommen waren. Es war das schlimmste Lawinenunglück in der Geschichte des Everest. Der deutsche Bergsteiger und Arzt Matthias Baumann hatte die Tragödie im Basislager miterlebt. Später besuchte er die Familien der Opfer und startete eine Hilfsaktion für sie. Im März reiste der 43 Jahre alte Unfallchirurg aus Tübingen erneut nach Nepal. Er verteilte Geld an die Familien der Opfer und brachte finanzielle Patenschaften auf den Weg, mit denen die Schulbildung der betroffenen Kinder gesichert wird.

Matthias, du warst vor einem Jahr im Basislager des Mount Everest, als die Lawine im Khumbu-Eisbruch abging und hast als Arzt die Verletzten mit erstversorgt. Verfolgt dich dieser 18. April 2014 auch heute noch?

In den vergangenen Tagen und natürlich besonders heute am Jahrestag habe ich immer wieder daran gedacht. Es verfolgt mich nicht traumatisch, weil ich auch in meinem Beruf mit Leid konfrontiert bin. Aber es bewegt mich emotional, zum einen vor dem Hintergrund meiner eigenen Leidenschaft fürs Bergsteigen, zum anderen weil es sich bei den Opfern der Lawine um Sherpas handelte, die ich ohnehin besonders mag.

Du hast insgesamt 100.000 Euro für die Familien der Lawinenopfer gesammelt und warst gerade in Nepal, um das gespendete Geld zu verteilen. Wie geht es den Familien heute?

Ich habe den Eindruck, dass sie sich ein bisschen stabilisiert haben, aber noch nicht komplett. Als ich vorbeikam, sind die meisten Frauen der Lawinenopfer in Tränen ausgebrochen. Das war im letzten Jahr nicht der Fall. Da standen sie vielleicht noch unter Schock, oder sie wollten vor ihren Kindern Stärke zeigen. Diesmal war es viel emotionaler.

Treffen mit Sherpa-Familien in Kathmandu

Treffen mit Sherpa-Familien in Kathmandu

Die Familien haben ihren Ernährer verloren. Kommen sie überhaupt über die Runden?

Es ist schwierig. Wie immer in so einem Fall in Nepal, müssen andere Angehörige helfen. Die Frauen haben dort oben in der Bergregion keine Chance, Geld zu verdienen. In Kathmandu geht das ein bisschen besser. Die nepalesische Regierung hat die Soforthilfe für die Familien von 400 auf 5000 US-Dollar aufgestockt und das Geld auch ausgeliefert. Einige Expeditionsveranstalter, bei denen die Lawinenopfer beschäftigt waren, z.B. Alpine Ascents International, haben ebenfalls Geld gegeben. Die Familien sind also nicht komplett auf sich alleine gestellt, aber ich habe den Eindruck, dass sie sehr auf die Hilfe angewiesen sind.

Ich habe im Khumbu auch einer Sherpa-Familie eine Geldspende zukommen lassen, deren Ernährer 2012 ums Leben gekommen war [Namgyal Tshering Sherpa starb bei einem Spaltensturz nahe Lager 1]. Dessen Familie hat nur die damals übliche Soforthilfe von 400 Dollar erhalten, sonst nichts. Das war schon brutal. Die Lawinenkatastrophe vom letzten Jahr hat immerhin ein wenig Aufmerksamkeit auf die Familien der Everest-Opfer gelenkt.

Hattest du das Gefühl, dass sich innerhalb der Sherpa-Gemeinschaft die Atmosphäre durch das Unglück verändert hat?

Definitiv. Es gab ja diese unterschiedlichen Gruppierungen unter den Sherpas. Das hat man bei dem tätlichen Angriff gegen Simone Moro und Ueli Steck 2013 gesehen. Und auch im letzten Jahr habe ich selbst erlebt, wie aggressiv eine kleine Gruppe von Sherpas aufgetreten ist, während die Mehrheit eigentlich gerne weitergemacht hätte. Ich habe den Eindruck, dass die Sherpas durch das Lawinenunglück wieder ein Stück weit zusammengerückt sind. Es hat sich eine kleine positive Wirkung ergeben, auch wenn längst nicht alle Forderungen der Sherpas erfüllt wurden.

Südseite des Mount Everest

Südseite des Mount Everest

Derzeit halten sich wieder mehr als 300 ausländische Bergsteiger im Basislager auf der nepalesischen Seite des Everest auf. Herrscht wieder „business as usual“?

Ich bin der Meinung, dass man die Zahl der Bergsteiger eigentlich reduzieren müsste. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert. Andererseits hängen eben auch so viele Verdienstmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung daran. Deshalb herrscht dort wieder weitgehend „business as usual“, bis auf die Tatsache, dass die Permits 1000 Dollar teurer sind [Die Besteigungsgenehmigung kostet jetzt 11.000 Dollar pro Person, unabhängig von der Anzahl der Expeditionsmitglieder] und die Mehreinnahmen in einen Hilfsfond fließen sollen. Außerdem wurde die Route durch den Eisbruch ein Stück weit verlegt. Aber ansonsten ist alles gleich geblieben.

Die Regierung hat beschlossen, dass die Permits von 2014 bis 2019 gültig bleiben, also auch deines. Juckt es dich, den Everest noch einmal zu versuchen?

Träume verschwinden nicht, auch nicht die Leidenschaft für das Bergsteigen. Bei mir hat es dieses Jahr nicht geklappt, weil ich den Job gewechselt habe. Ich hatte eher auf die Nordseite geschaut, weil dort so viele deutsche Höhenbergsteiger unterwegs sind. Das hätte mich auch als Mediziner interessiert, weil viele von ihnen ohne Flaschensauerstoff aufsteigen wollen. Ganz ehrlich, ich wäre super gerne dabei gewesen.

Matthias Baumann  im Khumbu-Eisbruch (2014)

Matthias Baumann im Khumbu-Eisbruch (2014)

Würdest du mit einem anderen Gefühl zum Mount Everest zurückkehren?

Ich war den Sherpas schon immer nahe. Aber nach den Erfahrungen von 2014 habe ich noch mehr Respekt vor ihnen und ihrer Leistung. Sie sind für mich die Helden am Everest.

Bei vielen anderen Bergsteigern am Everest scheint dieser Respekt noch unterentwickelt zu sein.

Das glaube ich auch. Viele sehen die Sherpas als Hilfsarbeiter. Dabei sind sie teilweise viel bessere Bergsteiger als die Masse der westlichen Gipfelanwärter. Das macht es doch viel interessanter, wenn du gemeinsam mit ihnen unterwegs bist. Ich respektiere sie auf Augenhöhe, und das merken sie. Sie erzählen sie mir viel über ihre Kultur, und wir haben viel Spaß zusammen. Das ist für mich eine echte Bereicherung. Respekt ist manchmal fast mehr wert als Geld.

P.S. Matthias Baumann sammelt weiter Geld für Sherpa-Familien, die von Bergunfällen betroffen sind: Himalayan Project e.V., Kreissparkasse Biberach, IBAN DE45 6545 0070 0007 0581 89, BIC  SBCRDE66, Kennwort: „Sherpa Lawinenopfer“

Datum

18. April 2015 | 17:03

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