Tödliches Unglück am Pik Lenin
„Es gibt keine leichten Berge und schon gar keine leichten Siebentausender.“ Diese Worte meines Expeditionsleiters Herbert Wolf 2011 am 7246 Meter hohen Putha Hiunchuli in Nepal klingen mir noch immer in den Ohren. Ich hatte damals 150 Meter unter dem Gipfel umkehren müssen, weil sich die Wetterverhältnisse verschlechterten und ich zu spät dran war. Was Herbert meinte, war die Tatsache, dass selbst ein vermeintlich leichter Berg durch die herrschenden Bedingungen zu einem schweren und gefährlichen werden kann.
Der Pik Lenin in Kirgistan wird von kommerziellen Veranstaltern gerne als „leichter Siebentausender“ oder als „Einstiegs-Siebentausender“ bezeichnet. Am 7. August kam an dem 7134 Meter hohen Berg im Pamir ein russischer Bergführer ums Leben. Es war eine Kombination aus schwierigen Verhältnissen und Fahrlässigkeit, die ihn das Leben kostete. Drei andere Teilnehmer der Expedition, die von einer kirgisischen Agentur organisiert worden war, überlebten den Unfall mit viel Glück. Ich habe Informationen aus erster Hand. Ohne Eispickel und Helm
Mehrere hundert Bergsteiger versuchten sich in dieser Saison am Pik Lenin. Nach übereinstimmenden Berichten verschiedener Expeditionen waren die Wetterverhältnisse in den letzten Wochen so schlecht wie selten: Heftiger Schneefall, Wind und Kälte sorgten dafür, dass die Erfolgsquote, die an dem Siebentausender sonst bei etwa 20 Prozent liegt, im Juli auf zwei Prozent fiel. „Wir waren am Morgen des 7. August die erste Gruppe, die auf der Normalroute von Lager eins auf 4400 Metern über den spaltenreichen, tief verschneiten Gletscher nach Lager zwei auf 5300 Metern aufstieg“, berichtet mir ein Mitglied der Viererseilschaft, der das Unglück überlebt hat und anonym bleiben will. Der russische Bergführer sei ein erfahrener Mann gewesen, der auch schon auf Achttausender-Gipfeln gestanden habe. Er habe jedoch die Verhältnisse offenbar auf die leichte Schulter genommen. „Er hatte weder Helm noch Eispickel dabei, dazu ein 40-Meter-Seil, von dem er aber nur 20 Meter ausgeben wollte.“ Das sollte sich später als fatal erweisen.
Keine Chance zu reagieren
Die ersten schmaleren, tiefen Spalten habe man noch springend überwinden können. Dann jedoch sei das Team auf etwa 5000 Meter Höhe an eine breite Spalte gekommen, in die der Wind viel Schnee geweht habe. „Wegen des kurzen Seilabstands zwischen uns standen zwei Bergsteiger gleichzeitig auf der Schneebrücke, als diese brach“, erzählt der Bergsteiger. „Alles ging rasend schnell. Wir anderen konnten wegen der kurzen Seilverbindung nicht mehr reagieren und wurden ebenfalls in die etwa 20 Meter tiefe Spalte gerissen.“
Der Bergführer schlug mit dem Kopf voraus in der Mitte der Spalte auf und war sofort tot. Ein Teammitglied wurde von den Steigeisen des Bergführers getroffen und zog sich schwere Schnittwunden zu. Der Sturz der anderen beiden anderen endete am Spaltenrand, einer verletzte sich am Knie, der andere blieb wie durch ein Wunder unversehrt.
Andere Seilschaften hätten beobachtet, dass die Gruppe plötzlich in der Spalte verschwunden sei, erzählt das Teammitglied. Etwa zwei Stunden später seien alle aus der Spalte geborgen und per Hubschrauber ausgeflogen worden.
„Grobe Fahrlässigkeit“
„Hätten wir – wie von uns mehrfach beim Bergführer angemahnt – die volle Seillänge verwendet, hätte nur ein Teammitglied auf der Schneebrücke gestanden, und wir hätten eine Chance gehabt, den Sturz abzufangen“, sagt der Bergsteiger. Das Material, mit dem der russische Bergführer aufbrach, sei für die herrschenden Verhältnisse am Pik Lenin unzureichend gewesen. Das gelte auch für die Verpflegung in den Hochlagern. „Das war grobe Fahrlässigkeit. Man sollte sich wirklich genau ansehen, wem man sich auf einer solchen Expedition anvertraut“, sagt das Expeditionsmitglied.
Tragödien am Pik Lenin
Der Pik Lenin wurde 1928 von einer sowjetisch-deutschen Expedition erstbestiegen. Der Berg war mehrfach Schauplatz von Tragödien. 1974 gerieten acht russische Bergsteigerinnen in einen Sturm und erfroren. 1990 ereignete sich am Pik Lenin das Bergsteiger-Unglück mit den meisten Todesopfern überhaupt: Ein Erdbeben löste eine Eislawine aus, die ein Lager komplett verschüttete. 43 Bergsteiger starben, nur zwei überlebten. So viel zum Thema „leichter Siebentausender“.