Beck Weathers: „Ich würde es ohne Zögern wieder tun“
Die Everest-Gipfelwelle rollt. In diesen Tagen werden sowohl auf der tibetischen Nord-, als auch auf der nepalesischen Südseite des höchsten Bergs der Erde dutzende, wenn nicht gar hunderte Gipfelerfolge erwartet. Ob sich die Everest-Anwärter von heute noch an Beck Weathers erinnern? Möglicherweise. Schließlich hat 2015 der erfolgreiche Hollywood-Film „Everest“ seine Geschichte noch einmal aufgearbeitet. Vor 20 Jahren wollte auch Beck auf das Dach der Welt steigen. Wegen Sehproblemen musste der Pathologe aus den USA auf rund 8400 Metern seinen Gipfelversuch abbrechen. Später geriet er in jenen Sturm, der innerhalb von 24 Stunden acht Bergsteigern das Leben kostete.
Dass Weathers noch lebt, grenzt an ein Wunder. Eigentlich war er schon so gut wie tot, seine Gefährten hielten ihn jedenfalls dafür. Nach einer Nacht im Whiteout ließen sie Beck ^im Schnee liegen, auf rund 8000 Metern, unweit des Südsattels. Beck erwachte aus seiner Bewusstlosigkeit und schleppte sich trotz schwerster Erfrierungen aus eigener Kraft ins Lager 4. Von dort brachte ihn ein Rettungsteam hinunter nach Lager 2 auf 6400 Metern. Von dort wurde Beck mit einem spektakulären Hubschrauber-Flug in Sicherheit gebracht. Weathers‘ rechter Arm musste bis knapp unterhalb des Ellenbogens amputiert werden. Beck verlor außerdem sämtliche Finger der linken Hand. Seine erfrorene Nase musste in zahlreichen Operationen rekonstruiert werden.
Ich habe anlässlich des 20. Jahrestags des Everest-Unglücks 1996 Kontakt zu Beck Weathers aufgenommen. Weil er auf Reisen war, konnte mir der 69-Jährige seine Antworten auf meine Fragen erst wenige Tage nach dem Jubiläum schicken.
Beck, das Unglück 1996 am Everest war für dich sicher eine der einschneidendsten Erfahrungen überhaupt. In welcher Weise hat es dein Leben verändert?
Es war ein Schlag ins Gesicht, der mich zwang, die Prioritäten in meiner Lebensweise zu ändern. Ich bin stolz darauf. Vorher definierte ich mich über Leistung, über Außenwirkung. Und ich fühlte mich nie wirklich wohl in meiner Haut. Dann musste ich mich ändern. Ich habe jetzt ein gewisses Maß Frieden in meinem Leben erreicht, ich fühle mich wohler, so wie ich bin. Und ich lebe bewusster von Tag zu Tag, mehr als jemals zuvor. Eigentlich hat das Unglück mein ganzes Leben friedlicher und lohnender gemacht.
Beck Weathers: It made my life more peaceful and rewarding
Ich nehme an, du hast dich selbst oft gefragt, wie du es geschafft hast, die Situation zu überleben, die du in deinem Buch als „Für tot erklärt“ bezeichnet hast. Wie erklärst du dir das eigentlich Unmögliche, 20 Jahre später?
Nun, ich habe mir sehr viele Gedanken darüber gemacht. Ich kann diese Frage nicht wirklich beantworten. Ich bin die Frage sowohl von der rein geistigen, als auch der rein physischen Seite angegangen, denn ich bin, soweit ich weiß, der einzige Mensch in der Geschichte des Alpinismus, der in den hohen Bergen wegen Unterkühlung ins Koma gefallen und wieder aus ihm erwacht ist. Ich denke, das Geistige spricht für sich. Und das Physische: Die Sonne ist auf so einem sehr hohen Berg selbst im Sturm, wenn sie sich den ganzen Tag verbirgt, unglaublich stark. Die Kleidung, die du trägst, ist darauf ausgelegt, Wärme zu speichern. Und letztlich reicht schon ein geringer Anstieg der Körpertemperatur, um wieder das Bewusstsein zu erlangen und die Augen zu öffnen. An diesem Punkt liegt dann die Entscheidung, ob du aufstehst und dich bewegst oder dich aufgibst, ganz allein bei dir.
Beck Weathers: Moving versus surrender
Nach dem Unglück wurde der Schwarze Peter hin und her geschoben. Wie beurteilst du das heute?
Damals gab es wirklich harte und schwere Schuldzuweisungen. Ich habe mich ganz bewusst entschieden, dabei nicht mitzumachen, vor allem, weil ich dachte, es wäre selbstzerstörerisch, darüber nachzudenken, wer daran Schuld sei. Das würde mich nur wütend machen und meine Emotionen und meine Aufmerksamkeit auf Bereiche lenken, die für mich sehr ungesund wären. Es war meine Entscheidung, dort zu sein, meine Beine haben mich dorthin getragen. Und letztlich war ich selbst in der Lage, zurück ins Hochlager zu gehen. Ganz ehrlich, wenn man jemand die Schuld dafür geben kann, was mir passiert ist, dann mir selbst. Ich werde nicht fragen: Warum hast du mir nicht aus der Patsche geholfen, warum hast du nicht meinen Allerwertesten gerettet? Ich halte das für einen schrecklich destruktiven Ansatz. Du musst selbst die Verantwortung für dein Handeln übernehmen.
Beck Weathers: Take responsibility for your own actions
Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest und die Gelegenheit hättest, deinen Entschluss, im Frühjahr 1996 zum Everest zu gehen, zurücknehmen könntest, würde du es trotzdem wieder tun?
Auch wenn ich, um ehrlich zu sein, damals nicht darüber nachgedacht haben – ja, ich würde es noch einmal tun, weil ich so viel mehr gewonnen als aufgegeben habe. Indem mich das Unglück zwang, meine Lebensweise zu überprüfen, hat es letztlich meine Ehe gerettet und auch meine Beziehung zu meinen Kindern. Und es hat mir 20 Jahre geschenkt, die die absolute interessantesten und besten Jahre meines Lebens gewesen sind. Ich gab also ein paar Körperteile, aber ich gewann so viel mehr. Also, ich würde es wieder tun, ohne eine Sekunde zu zögern.
Beck Weathers: I would do it again in a heart beat
Verfolgst du immer noch, was am Mount Everest passiert – und wenn ja, mit welchen Gefühlen?
Wenn wirklich etwas passiert und es von Interesse ist, schaue ich wie der Rest der Welt hin, wie im Fall der Lawine, die im Jahr 2014 im Khumbu-Eisbruch 16 Sherpas tötete, oder der Lawine im vergangenen Jahr vom Pumori auf das Basislager. Diese Dinge zwingen mich, noch einmal über den Everest nachzudenken: was dort passiert, auch darüber, was sich über die Jahre geändert hat. Ich habe niemals Traurigkeit empfunden, wenn ich an den Everest zurückdachte. Ich hatte niemals Alpträume, nichts hat mich gequält. Es gehört einfach zu den Dingen, die passiert sind, es ist ein Teil meines Lebens, ich nehme es an. Ich blicke ohne jedes Gefühl des Bedauerns zurück. Ich akzeptiere einfach, was das Leben für mich bereitgehalten hat. Und ich habe es hoffentlich geschafft, ein besserer Mensch zu werden, für die Herausforderung, vor die mich das Leben gestellt hat.